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Die Antwort durch die Aussteller und Besucher fiel eindeutig aus. Mit 273 Ausstellern waren so viele Firmen wie noch nie auf der Doppel-Messe. Dazu kamen noch knapp 11.000 Besucher. Fragt man Aussteller und Besucher nach Ihren Beweggründen, trotz deutlich höherem Aufwand und Kosten, eine Präsenzveranstaltung einer Online-Veranstaltung vorzuziehen, hört man im Wesentlichen immer drei Gründe:
- Auf Präsenzveranstaltungen ergeben sich immer wieder wertvolle Zufallsgespräche.
- Die Gesprächsanbahnung über Mimik und Gestik ist eine ganz andere.
- Netzwerke knüpfen und pflegen geht in Präsenz viel besser.
Das KonzeptEine Ärztemesse (MEDIZIN) zusammen mit einer Therapeutenmesse (TheraPro) unter einem Dach ist wohl das Besondere an dieser Veranstaltung. Will man sich orientieren, ob man sich gerade in einem Bereich für Ärzte oder Therapeuten befindet, blickt man am besten zu Boden. Steht man auf rotem Teppich, ist man im Ärztebereich – steht man auf blauem, befindet man sich in der Therapeutenarea. Wobei das Verhältnis Therapeutenfläche zu Ärztefläche ca. 2:1 ist.
Flankiert wird die Messe von fünf verschiedenen Kongressen* im Kongress-Center nebenan. Und auch da gibt es seit jüngster Zeit Bestrebungen, immer mehr gemeinsame Veranstaltungen von Therapeuten und Ärzten durchzuführen; einfach damit diese beiden Berufsgruppen noch mehr miteinander ins Gespräch kommen.
Die Ausstellung
Die Messe wächst. So waren dieses Jahr erstmals zwei Hallen vonnöten, da auf der einen Seite die Zahl der Anbieter gestiegen war, auf der anderen Seite bisherige Aussteller mehr Fläche als beim letzten Mal gebucht hatten. Dies schlug sich auch im Angebot nieder. Dem Eindruck nach wurde im Vergleich zu den Vorjahren immer mehr „Großgerät“ statt kleinem Therapiematerial angeboten. Die größten Menschentrauben bildeten sich dennoch bei Kleingeräten wie Rollen oder Bändern. Und das offensichtlichste Geschäft machte wohl der Anbieter von Slackline-Boards.
Digitalisierung
Unübersehbar sowohl auf der Messe als auch in Vorträgen ist das heraufziehende Thema der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Alle möglichen Anbieter strecken langsam ihre Fühler nach möglichen Neukunden diesbezüglich aus.
Doch nach unseren Recherchen besteht im Moment für Therapeuten keine große Notwendigkeit zur Eile. Das liegt im Wesentlichen an folgenden Gründen:
- • Das eGBR steht noch nicht für alle Therapeuten. Die ratifizierten Staatsvertragssurkunden aus Brandenburg und Thüringen liegen nämlich immer noch nicht physisch in Nordrhein-Westfalen, dem Sitz des eGBR, vor. Andreas Pfeiffer, Vorsitzender des DVE, fühlt sich stark in die Zeit der berittenen Boten in Deutschland zurückversetzt.
Fazit in Sachen Digitalisierung• Außer KIM steht für Therapeuten nur die elektronische Patientenakte (ePA) als mögliche Anwendung zur Verfügung. Hierzu bräuchte man allerdings einen Patienten, der diese schon hat, einen Arzt der gewillt war, diese auch zu befüllen und das Einverständnis des Patienten, dem Therapeuten Einblick in diese zu gewähren. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass alles drei Ihnen momentan vorliegt, dürfte sich im Promillebereich bewegen.
• Ärzte sind mittels Konnektoren schon an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen. Doch gerade bei diesen Konnektoren findet derzeit ein Umbruch statt. Über einige Zwischenschritte geht es von dem physischen Konnektor in jeder einzelnen Arztpraxis hin zum virtuellen Konnektor in Form einer Softwarelösung (VPN).
Sinnvoll für Therapeuten dürfte es sein, erst nach Vollzug o. g. Konnektorenrevolution Zeit, Nerven und Geld in den Anschluss an die TI aufzuwenden. Es sei denn, Sie sind ein Nerd, der unbedingt zu den Pionieren gehören möchte und/oder Sie wohnen in einem Bundesland (z. B. Baden-Württemberg), das diesen Prozess mit zum Teil 100 Prozent Zuschuss unterstützt.
Jedem, der sich vorab schon einmal einen Überblick über die verschiedensten Begriffe der Digitalisierung verschaffen möchte, sei unser Digitalisierungslexikon an Herz gelegt.
Die Berufsverbände
Ebenfalls auf der TheraPro vertreten waren alle vier maßgeblichen Berufsverbände; Gelegenheit so manches in Erfahrung zu bringen.
Die häufigsten Absetzungen
Laut Michael Kiefer, dem Landesgruppenvorsitzenden des VPT Baden-Württemberg (manchem auch als Mister Rahmenvertrag bekannt) sind die häufigsten Absetzungen in jüngster Vergangenheit:
- Bei Änderungen auf dem Rezept durch den Arzt fehlt das Änderungsdatum (sehr häufig bei Änderungen des Ausstellungsdatums, da es irgendwie wider die menschliche Natur ist, ein Datum durchzustreichen, daneben ein neues Ausstellungsdatum zu schreiben und daneben noch ein drittes, nämlich das der Änderung, zu notieren.)
- Änderungen auf dem Rezept oder das Rezept an sich wurden „i. A.“ durch die Arzthelferin unterschrieben.
- Das Rezept wurde zu spät (nach neun Monaten) abgerechnet. Michael Kiefer berichtete an dieser Stelle von Praxen, welche nur zweimal im Jahr abrechnen.
- Auf der Rückseite der Verordnung wurde Tipp-Ex verwendet.
=> An dieser Stelle sei noch einmal auf unseren Bericht zur Anlage 3 des Rahmenvertrages (Notwendige Angaben auf der Heilmittelverordnung und einheitliche Regelungen zur Abrechnung) verwiesen.Neuer Rahmenvertrag mit der DGUV (BG)
Thorsten Vogtländer, Geschäftsführer Physio-Deutschland, rechnet mit einem neuen BG-Rahmentrag zum 1. April 2023. Zurzeit liefen noch Feinabstimmungen; wie zum Beispiel auch die von Genderfragen bei einzelnen Formulierungen.
Akademisierung
Das „heißeste Eisen“ zurzeit dürfte wohl das Thema Akademisierung sein. Und man kann von Andrea Rädlein, der Vorsitzenden von Physio-Deutschland, halten, was man will. Was man ihr aber gewiss nicht vorwerfen kann, ist, dass es ihren Aussagen an Eindeutigkeit mangele. Klipp und klar und meinungsstark legte sie öffentlich dar, dass
- • es ihrer Meinung nach jetzt darum gehe „Pflöcke für die Zukunft einzurammen“.
Was Sie nicht explizit sagte, aber durchaus unausgesprochen im Raume stand: Eventuelle Kollateralschäden wie z. B. das Aus für den Beruf des Masseurs werden hierfür in Kauf genommen.• sie keine zwei verschiedene Berufsbilder "Physiotherapie" in Zukunft wolle – wie es das BMG aktuell skizziere (wir berichteten)
• alle PhysiotherapeutInnen (nach einem Transformationsprozess von 10 bis 15 Jahren) nur noch akademisch ausgebildet werden sollen.
Die unbewegte Mimik der Vorsitzenden von IFK und VPT während des Vortrages von Frau Rädlein ließ leider nicht erkennen, ob sie genauso enthusiastisch und entschlossen für die Vollakademisierung eintreten oder ob Ihnen die Beibehaltung des Masseurs am Ende des Tages nicht doch wichtig ist. Jedenfalls formiert sich derzeit Widerstand gegen die Position von Physio Deutschland seitens anderer Verbände und aus Bayern heraus; dazu demnächst mehr in einem gesonderten Bericht.
Blanko-Verordnung
Das zweite Thema, welches die Therapeutengemeinschaft beschäftigt, ist das Thema Blankoverordnung. Dazu sei hier aktuell vermeldet:
- • Laut übereinstimmender Auskunft der Berufsverbände ist das Thema nicht „tot“, sondern es finden allein diese Woche zwei weitere Verhandlungsrunden diesbezüglich in Berlin statt.
Podiumsdiskussion zwischen Ärzten und Therapeuten• Laut Frau Rädlein wolle man hier zwar keine „Quick- and Dirty-Lösung“, aber man arbeite mit „Volldampf“ an dem Thema. Sie erwarte eine Einigung in diesem Jahr.
• Was lt. Verbände jetzt schon feststehe, ist, dass zunächst nur mit einer Diagnosegruppe begonnen werden solle und dass es auch eine irgendwie geartete Mengenbegrenzung geben werde.
Der Austausch von Ärzten mit Therapeuten ist wie gesagt ein Anliegen der TheraPro. Und so fand eine interdisziplinäre Podiumsdiskussion zum Thema „Schmerztherapie im ambulanten Setting – Wie kann eine optimale Patientenversorgung gelingen?“ statt.
Thema waren genau genommen chronische Schmerzpatienten. Als chronisch gilt, wer länger als drei Monate Schmerzen hat. Wohltuend war das Eingeständnis der Chefärztin des Zentrums für Wirbelsäulenchirurgie und Rückentherapie Dr. Petra Büchin in ihrem Eingangsstatement, dass auch ärztliche Vertreter mittels Nocebos (wörtlich: „Ihre Wirbelsäule ist Schrott“) ihren Anteil an der Chronifizierung von Schmerzen hätten.
Einig war man sich zwischen Ärzten und Therapeuten außerdem darin, dass
- • chronische Patienten keine passiven Maßnahmen erhalten sollten.
Sehr schön beschrieb auch der Schmerzmediziner Dr. Junger, worauf es ankommt. Seiner Meinung nach lautet bei chronischen Schmerzpatienten die Parole „Weniger ist mehr! Das heißt konkret:• es sich bei diesem Klientel um höchstanspruchsvolle Patienten handelt.
• Graded Exposure und Copingstrategien im Vordergrund stehen sollten.
• das A und O bei diesem Patientengut die Biopsychosoziale Betrachtungsweise ist.
• es wichtig ist, Chroniker in einem multidisziplinärem Team aus Ärzten, Therapeuten und Psychotherapeuten zu betreuen.
• man all dies zwar weiß, es aber in der Praxis nicht umgesetzt werden kann, da dies im GKV-System nicht bezahlt werde. Auf Nachfrage, weshalb eigentlich kein Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in dieser Runde vertreten sei, gab der Veranstalter ganz unumwunden zu, dies vergessen zu haben.
- • Weniger Medikamente
Aber was es nach Junger unbedingt brauche, ist ein Mehr an:• Weniger Bildgebung
• Weniger Anspruchshaltung in Sachen Schmerzfreiheit
- • Sprechen (Anamnese) und
Junger war es auch, der Therapeuten herausforderte, indem er ihnen ins Stammbuch schrieb, aktiver zu werden. Er beklagte, dass bei seinen monatlichen interdisziplinären Schmerzkonferenzen selten ein Therapeut anwesend war. Dabei stünden doch genau diese Schmerzkonferenzen auch für Therapeuten kostenlos zur Verfügung und böten Gelegenheit, entweder einen eigenen Patienten vorzustellen oder auch nur einer Fallbesprechung eines Patienten von einem ärztlichen Kollegen zu lauschen. **• Untersuchung (Bei ihm dauert eine Eingangsuntersuchung ein bis eineinhalb Stunden)
Auf den Einwand, dass viele Therapeuten vielleicht nichts von dieser Möglichkeit wüssten, erwiderte er: „Da müsste man halt auch einmal seinen Hintern ein wenig hochkriegen und googeln.“ In jeder größeren Stadt gebe es solche Konferenzen, da Schmerzmediziner qua Gesetz verpflichtet seien, solche durchzuführen.
Vielleicht nicht ganz so charmant vorgetragen, aber dennoch eine charmante Idee, wie wir meinen.
Fazit
Wer sich engagieren möchte und sich für Netzwerke mit anderen Therapeuten, Kontakt zu Ärzten, das Thema "Digitalisierung" oder direktem Austausch mit Berufsverbänden interessiert, für den ist die TheraPro den Aufwand wert.
Wer lieber zu Hause bleibt und seine Kraft und Zeit in die Behandlung von Patienten investiert ... auch gut. Denn diese Therapeuten braucht es in Zeiten des Fachkräftemangels mindestens genauso.
Friedrich Merz / physio.de
* Bei den fünf Kongressen handelt es sich um:- • den 15. physiokongress
• den 15. ergotag
• dasPHYSIO-DEUTSCHLAND Verbandssyposium
• den 6. Süddeutscher Logopädietag und
• der 18. VDP-Qualitätskonferenz
** Leider gibt es kein bundesweites Verzeichnis der Schmerzkonferenzen. Wer aber als Arzt an der Schmerztherapievereinbarung der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) teilnimmt, ist verpflichtet, regelmäßig an solchen Konferenzen teilzunehmen oder diese selbst zu veranstalten. Diese Ärzte finden Sie über die Arzt-Suchfunktion der jeweiligen KV, wenn Sie unter "Besondere Verfahren und Behandlungsarten" "Schmerztherapie" eingeben; hier das Beispiel der KV Baden-Württemberg.
Die Berichte über die TheraPro der vergangenen Jahre finden Sie hier:
• TheraPro 2020
MesseBerichtTheraPro2023AkademisierungBlankoverordnungDigitalisierungVerbände
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Herzliche Grüße aus der Redaktion
Ihr Friedrich Merz
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Friedrich Merz schrieb:
Vielen lieben Dank für Ihr Lob, Frau @verena86 . Es tut dem Autorenherz ungelogen ungemein gut blush
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Ihr Friedrich Merz
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verena86 schrieb:
Wie immer eine wunderbare Zusammenfassung!
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Gelabinchen schrieb:
Kann ich nur zustimmen, gute Zusammenfassung. eAkte war vielfach zu lesen und viele haben sich an diesen Ständen informiert, aber auch Vernetzung von verschiedenen Anbietern hörte man häufiger als früher. Gerade in Bezug auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Psychotherapeuten und Heilmittelerbringern in Bezug auf chronische Schmerzpatienten (auch mit Patienten) wird es Zeit, dass mehr Austausch (virtuell und real) möglich wird. 20 Minuten Physio an der Behandlungsbank sind für akute Fälle noch vertretbar, aber chronische Erkrankungen brauchen mehr Betreuung/Aufklärung und Hilfe zur Selbsthilfe durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller. Chronische Schmerzen die man diesen Patienten ansieht, brauchen ein ganzheitliches Konzept und nicht nur eine Schublade verursacht durch Zeitmangel.
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Stefanie Bredeweg schrieb:
Ein sehr schöner und ehrlicher Bericht, Danke grinning
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logofox schrieb:
Zusammenfassung und Gliederung sind sehr gut gelungen. Vielen Dank Friedrich Merz.
Es ist eine spannende Zeit für unsere Berufe und Ausbildungen! Leider habe ich das Gefühl kein Mitspracherecht zu haben über diese Entwicklungen. Wie so oft wird über unsere Köpfe hinweg entschieden und wir müssen dann damit zurechtkommen. Das ist schade!
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Jan Dieckmann schrieb:
Danke für die stimmige Zusammenfassung!
Es ist eine spannende Zeit für unsere Berufe und Ausbildungen! Leider habe ich das Gefühl kein Mitspracherecht zu haben über diese Entwicklungen. Wie so oft wird über unsere Köpfe hinweg entschieden und wir müssen dann damit zurechtkommen. Das ist schade!
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Thomas Kanitz schrieb:
Vielen Dank für die Zusammenfassung. Die Podiumsdiskussion über chronische Schmerzpatient*innen fand ich inhaltlich sehr gelungen. Herr Jung, Herr Buchner und die anderen Vortragenden haben vielen Therapeut*innen aus der Seele gesprochen. Leider wurde einmal mehr deutlich, dass wir (Therapeuten, Ärzte,…) inhaltlich schon viel weiter sind, als es die Rahmenbedingungen zulassen. Solche Veranstaltungen müssen von GKV Vertretern besucht werden.
Wurden oder werden doch Patienten mit Medikamenten regelrecht Zugedröhnt.
Ich hoffe mal diese Erkenntnis kann sich durchsetzen, bin aber mehr als skeptisch.
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michael81 schrieb:
Erstaunlich finde ich die Aussage, weniger ist mehr, vor allem in Bezug auf Medikamente.
Wurden oder werden doch Patienten mit Medikamenten regelrecht Zugedröhnt.
Ich hoffe mal diese Erkenntnis kann sich durchsetzen, bin aber mehr als skeptisch.
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