
Was tun, wenn‘s klemmt?
19.05.2020
Eingeschlafene Arme, Brennen und Kraftverlust, vor allem bei Überkopfarbeiten können durch Kompressionssyndrome im unteren Halsbereich entstehen, die zusammenfassend als Thoracic-Outlet-Kompressionssyndrom (TOCS) bezeichnet werden.
Betroffen hiervon ist ein Gefäßnervenbündel, bestehend aus Arteria Subclavia, Vena Subclavia sowie dem Plexus Brachialis. Auf dem Weg in die Peripherie muss dieses Gefäßnervenbündel drei wesentliche Engstellen passieren:
- die vordere bzw. die hintere Scalenuslücke
- den Kostoclavicularraum zwischen erster Rippe und Clavicula
- den Coracopectoralraum zwischen Prozessus Coracoideus und M. Pectoralis Minor
Bei funktionellen TOCS sind keine anatomischen Engstellen in der Bildgebung zu erkennen.
Die Symptome lassen sich entweder durch
- • den Adson-Test für die hintere Scalenuslücke,
• den Eden-Test für den Kostoclavicularraum oder
• den Wright-Test für den Coracopectoralraum
Die Forschungslage zur Behandlung funktioneller TOCS ist dünn. Aus der aktuell verfügbaren Literatur lassen sich trotzdem einige Schlüsse ziehen. Die physiotherapeutische Behandlung eines TOCS sollte auf drei Säulen stehen:
- Verbesserung der Kraftausdauer der gesamten Schulter-Nackenmuskulatur,
- Verbesserung der Neurodynamik,
- graduelles Aufbelasten der vom Patienten angegebenen eingeschränkten Aktivitäten (meistens Überkopfarbeiten).
Zusätzlich könnte ein Training der Nackenmuskulatur sinvoll sein. Studien konnten zeigen, dass ein regelmäßiges Training des Trapezmuskels bis zur Ermüdung zu einer signifikanten Spannungsabnahme führen konnte.
Bei Engpasssyndromen im coracopectoralen Raum sind Dehnungen des Brustmuskels kurzfristig eventuell hilfreich, ein Training für Brustmuskel im vollen ROM, insbesondere in der Exzentrik sorgt langfristig zu einer Tonussenkung und eventuellen Längenzunahme. Auch hier sollte noch einmal betont werden, dass der Kraftzuwachs eines Muskels paradoxerweise eher zu einer Tonusabnahme führt.
Wichtig ist, dass alle Übungen in einem schwelligen Bereich mit Ermüdung zwischen zwölf bis 15 Wiederholungen stattfinden.
Zur Tonussenkung der Muskulatur können zusätzlich Atmungs- und Entspannungsübungen angeleitet werden. Die Mm. Scaleni sind inspiratorische Atemhilfsmuskeln, die bei erhöhter Sympatikusaktivität einen erhöhten Dauertonus aufweisen.
Slidertechniken haben sich bereits in Studien als äußerst wirksam bei anderen Nervenengpasssyndromen, wie dem Carpaltunnelsyndrom gezeigt. Daher ist davon auszugehen, dass diese auch bei TOCS einen Effekt haben. Studien dazu existieren nicht. Welche Slidertechnik genutzt wird lässt sich aus den Ergebnissen der ULTT ableiten. Patienten können angeleitet werden, diese Techniken mehrmals am Tag selber durchzuführen.
In einigen MT-Konzepten werden immer noch Gelenkmobilisationen bei TOCS empfohlen, beispielsweise die Mobilisation der ersten Rippe. In Anbetracht der aktuellen Datenlage ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Gelenkpositionen durch manuelle Interventionen dauerhaft verändert werden können. Um ein nachhaltiges Therapieergebnis zu erzielen, scheinen diese Techniken also nicht geeignet zu sein.
Sind die Beschwerden der Patienten klar aktivitätsinduziert, kann ein Graded-Activity-Programm mit dem Patienten vereinbart werden. Beispielsweise könnte ein Trainingsprogramm für Überkopfarbeiten erstellt werden, in dem täglich die Ausdauerkapazität erhöht wird. Zusätzlich können mit dem Patienten Copingstrategien in Form von Haltungskorrekturen, Dehnungen, aktiven Arbeitspausen oder Atemübungen erarbeitet werden.
Da es sich bei TOCS häufig um funktionelle Probleme handelt, sollten physiotherapeutische Interventionen immer an erster Stelle der Therapiemöglichkeiten stehen. Es ist zu hoffen, dass die Physiotherapieforschung hier bald Daten nachliefert, um die Therapie so effektiv wie möglich zu gestalten.
Daniel Bombien / physio.de
Es gibt 13 Beiträge
-
Es ist wirklich immer wieder erstaunlich, dass die Aufzählung möglicher Ursachen für Thoracic Outlet Syndrome sowohl im Medizinstudium an als auch in der physiotherapeutischen Ausbildung, wie auch in dieser Veröffentlichung unvollständig ist. Mit einer Häufigkeit von immerhin 13% sollte dem "Bogen von Langer", einer anatomischen Variante, die gelegentlich insbesondere bei Kassiererinnen an der Supermarktkasse oder Überkopfarbeitern hartnäckige Beschwerden verursacht, doch etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Auf meiner Homepage habe ich dieses Thema bereits vor ca. 20 Jahren veröffentlicht:
Physiotherapie Kollegen-Information: Bogen von Langer
TOS-Ursachen
BvL-Foto
Bogen von Langer live
-
nicht zu vergessen ist nach Sunderland, der Druckdgradient! s muss nicht immer der Nerv sein, auch der arterielle oder venöse Druck spielt in Engpässen, wo alle 3 durchlaufen, eine wichtige Rolle! Nicht immer so eingefahren in einzelnen Strukturen denken ...
-
Jeden Tag wird wieder ne neue Sau durchs Dorf getrieben. Ist doch Alles bekannt. Physiotherapeuten haben eben einen Hang dazu, alles aber auch wirklich alles zu verkomplizieren und jeden Tag neu zu erfinden. Natürlich auch, um die Fortbildungsmaschinerie ausreichend zu bedienen. Chapeau!
-
@ MikeL
Außer dir hat niemand davon gesprochen, mein Wissen sei allumfassend. Du legst deine eigenen Worte in die Münder anderer. Solltest dich besser mal reflektieren lernen. Nur als kleiner Tip von mir.
-
"Zusätzlich können mit dem Patienten Haltungskorrekturen erarbeitet werden"
Was in dem Artikel unter zusätzlich steht, wird bei uns an erster Stelle erarbeitet unter Berücksichtigung der Ganzkörperstatik und -dynamik. Oft gibt das schon gute Erfolge.
Wenn das nicht reicht, weil Blockaden zu hartnäckig sind, kommen ergänzende Massnahmen zum Einsatz.
Z.B. exzentrische Muskelarbeit, Funktionsmassage, Triggern, Wärme, Elektrotherapie.