Primärprävention
6 Betriebliche Gesundheitsförderung nach § 20a SGB V

 

6.1 Einleitung

Die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts ist durch tiefgreifende Wandlungsprozesse gekennzeichnet: Der technische Fortschritt und der zunehmende globale Wettbewerb führen zu einer Beschleunigung aller Herstellungs- und Kommunikationsprozesse. Erworbenes Wissen veraltet immer schneller, lebenslanges Lernen wird zur Norm. Die heutigen Kommunikationstechnologien ermöglichen eine Erreichbarkeit rund um die Uhr und an jedem Ort, wodurch u. a. auch die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben immer mehr verwischen. Ergebnisorientierte Management- und Entlohnungsmethoden vergrößern tendenziell die Verantwortung der Beschäftigten für die Ausführung und Ergebnisse ihrer Arbeit. Diskontinuierliche und flexible Beschäftigungsformen, die zunehmenden räumlichen Mobilitätsanforderungen und häufige betriebliche Umstrukturierungen führen auch zu wachsender Instabilität sozialer Positionen und Beziehungen.

Unter dem Einfluss dieser Veränderungen verschiebt sich das Spektrum der mit der Arbeit verbundenen Anforderungen. Körperliche Anforderungen sind infolge des technischen Fortschritts und des damit verbundenen Strukturwandels, aber auch aufgrund von Maßnahmen des Arbeitsschutzes und der betrieblichen Gesundheitsförderung teilweise rückläufig. Die einerseits zu begrüßende Entlastung von körperlicher Anstrengung trägt andererseits auch zu verbreitetem Bewegungsmangel als Risikofaktor für unterschiedliche chronische Krankheiten bei. Psychische Anforderungen wie z. B. Termin- und Zeitdruck, Störungen und Unterbrechungen sowie die gleichzeitige Erledigung bzw. Überwachung unterschiedlicher Arbeitsvorgänge nahmen bis Mitte des letzten Jahrzehnts deutlich zu und sind seitdem auf hohem Niveau stabil 130 .

Der Arbeits- und Gesundheitsschutz hat maßgeblich zur Verbesserung der Gesundheitsbedingungen der Erwerbstätigen beigetragen. Aufbauend auf diesen Erfolgen sind zum Erhalt und zur Stärkung der Gesundheit Erwerbstätiger weitere Anstrengungen erforderlich. Bei den heute dominierenden Gesundheitsproblemen der Erwerbstätigen – gemessen an den Indikatoren Behandlungskosten, Arbeitsunfähigkeit, Frühberentung und Sterblichkeit – handelt es sich vor allem um Erkrankungen des Muskel-Skelett-, des Kreislauf- und des Verdauungssystems sowie in zunehmendem Maße um psychische und Verhaltensstörungen. An der Entstehung sowie Chronifizierung dieser Erkrankungen sind Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, private Lebensumstände sowie persönliche Lebensgewohnheiten in unterschiedlichem Maße beteiligt.

Da das Risiko einer chronischen Erkrankung und daraus möglicherweise folgender eingeschränkter Erwerbsfähigkeit ab dem mittleren Erwachsenenalter stark steigt, gewinnen Anstrengungen zum Erhalt von Gesundheit, Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit an Bedeutung – dies zusätzlich vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Die Unternehmen müssen sich in den kommenden Jahren auf stark alternde Belegschaften einstellen. Bis zum Jahr 2030 wird das Erwerbspersonenpotenzial bundesweit voraussichtlich um mehr als sechs Mio. Personen abnehmen 131 . Daher müssen über die gesamte Spanne des Erwerbslebens die Möglichkeiten zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit in Zukunft noch stärker genutzt werden.

Erwerbsarbeit besitzt große gesundheitsfördernde Potenziale 132 . Sie vermittelt einen anerkannten sozialen Status und ein Einkommen, gibt dem Tag eine Zeitstruktur und führt zur Stärkung des Selbstwertgefühls bei erfolgreicher Bewältigung von Aufgaben. Darüber hinaus sind mit der Erwerbsarbeit in der Regel kollegiale Kontakte und soziale Zugehörigkeit verbunden. Die mit (unfreiwilliger) Arbeitslosigkeit häufig einhergehenden Gesundheitsrisiken unterstreichen die positiven gesundheitlichen Potenziale von Erwerbsarbeit ebenso wie die Verbesserung des Gesundheitszustandes vormals Arbeitsloser nach der Wiedererlangung einer Beschäftigung. Andererseits können Fehlbelastungen im Beruf aber auch zu körperlichen und/oder psychischen Gesundheitsschäden führen.

Mit betrieblicher Gesundheitsförderung lassen sich die in der Arbeit liegenden positiven gesundheitlichen Potenziale stärken, Erkrankungsrisiken von Beschäftigten senken, ihre gesundheitlichen Kompetenzen verbessern sowie ihre Arbeitsfähigkeit langfristig sichern. Die vorliegenden in- und ausländischen Evaluationsstudien zeigen, dass durch betriebliche Gesundheitsförderungsmaßnahmen krankheitsbedingte Fehlzeiten und Behandlungskosten reduziert werden können 133 .

Höheres gesundheitliches Wohlbefinden kommt über die Steigerung von Arbeitszufriedenheit, Motivation und Einsatzbereitschaft letztlich auch dem Unternehmenserfolg zugute. Die Krankenkassen bieten deshalb interessierten Betrieben 134 entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag nach § 20a SGB V Unterstützung bei der Planung und Umsetzung betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) an.

____________________________

130 Lohmann-Haislah, A (2012). Stressreport Deutschland 2012. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund, Berlin, Dresden. S. 36; Für den Zeitraum davor vgl. Lenhardt, U., M. Ertel & M. Morschhäuser (2010). Psychische Arbeitsbelastungen in Deutschland. Schwerpunkte – Trends – betriebliche Umgangsweisen. WSI-Mitteilungen Jg. 63, Nr. 7, S. 335-341.

131 Statistisches Bundesamt (2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden.

132 Vgl. Friedrichs, M. et al. (2011). iga-Barometer 3. Welle 2010: Einschätzungen der Erwerbsbevölkerung zum Stellenwert der Arbeit, zum Gesundheitsverhalten, zum subjektiven Gesundheitszustand und zu der Zusammenarbeit in altersgemischten Teams. iga.Report 21. Berlin und Essen. (http://www.iga-info.de -> Veröffentlichungen -> iga-Reporte): „77 % der Männer und 86 % der Frauen finden, dass ihre Arbeit sie fit hält; 84 % der Männer und 87 % der Frauen denken, dass ihre Arbeit ihnen Anerkennung bringt; von Männern und Frauen [wird zu] jeweils 87 % ihre Arbeit als vielseitig und abwechslungsreich empfunden; Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten [wird] von 83

133 Sockoll, I.; I. Kramer & W. Bödeker (2008). Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention. iga.Report 13. Essen. S. 58. (http://www.iga-info.de -> Veröffentlichungen -> iga- Reporte) Wirksam sind insbesondere bedarfsgerechte, mehrfaktorielle, d. h. unterschiedliche Maßnahmearten und Risikobereiche berücksichtigende Programme, die nachhaltig verankert und professionell gesteuert werden.

134 Als Betriebe in diesem Sinne gelten auch Dienststellen der Verwaltung sowie betriebsanaloge und betriebsähnliche Organisationsformen, in denen z. B. Personen im Rahmen von Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktintegration tätig sind.

 

6.2 Grundverständnis

Ziel betrieblicher Gesundheitsförderung ist die Verbesserung der gesundheitlichen Situation und die Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten der berufstätigen Versicherten. Indem betriebliche Gesundheitsförderung Versicherte und Betriebe bei Erhalt und Stärkung der Beschäftigtengesundheit unterstützt, leistet sie auch einen Beitrag zur Bewältigung der mit dem demografischen Wandel in der Arbeitswelt verbundenen Herausforderungen.

Nach der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation von 1986 zielt „Gesundheitsförderung […] auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“. Gesundheitsförderung ist nach dieser Grundsatzcharta ein Programm gezielter sozialer Weiterentwicklung von Gesellschaften und Organisationen. Ein wesentlicher Ansatzpunkt hierfür ist die gesundheitsfördernde Gestaltung von Lebenswelten.

Mit rund 40 Mio. Erwerbstätigen stellt die Lebenswelt „Betrieb“ ein ideales Setting für die Gesundheitsförderung dar, denn im Betrieb können wichtige gesundheitliche Rahmenbedingungen gezielt beeinflusst werden; gleichzeitig können auch solche Zielgruppen erreicht werden, die individuelle Präventionsangebote seltener in Anspruch nehmen (z. B. Männer, junge Menschen) 135 . Nach der Luxemburger Deklaration des Europäischen Netzwerks für betriebliche Gesundheitsförderung 136 umfasst „[b]etriebliche Gesundheitsförderung […] alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Dies kann durch eine Verknüpfung folgender Ansätze erreicht werden:
• Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen
• Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung
• Stärkung persönlicher Kompetenzen“.

Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung sollten dementsprechend in der Form eines multimodalen, ganzheitlichen Vorgehens und nicht als isolierte Einzelmaßnahmen umgesetzt werden 136 . Sie sollten unter Beteiligung der Beschäftigten und ihrer gesetzlichen Vertretungen sowie aller erforderlichen internen und externen Akteure entwickelt und umgesetzt werden. Betriebliche Gesundheitsförderung richtet sich an den Betrieb als Organisation und an die einzelnen Beschäftigten gleichermaßen. Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung müssen bedarfsbezogen allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unabhängig von ihrem arbeitsrechtlichen Status offen stehen. Die Unterstützung der Krankenkasse bei der betrieblichen Gesundheitsförderung versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe der betrieblichen Akteurinnen und Akteure auf diesem Feld.

Einzelmaßnahmen sowie die begleitende Öffentlichkeitsarbeit können dann unterstützt werden, wenn die Betriebsparteien (Firmenleitung und Betriebs-/Personalrat/Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kleinbetrieben) sich auf den betrieblichen Gesundheitsförderungsprozess als grundlegendes Vorgehensschema verpflichtet haben.

Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung können unmittelbar im einzelnen Betrieb sowie mittelbar auf überbetrieblichen Verbreitungswegen, z. B. durch Beratung und Qualifizierung insbesondere von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Betriebsverantwortlichen, erbracht werden. Der mittelbare Zugangs- und Verbreitungsweg eignet sich besonders für Kleinbetriebe (s. hierzu auch „Betriebliche Gesundheitsförderung in Klein- und Kleinstbetrieben“ – Kapitel 6.6 – sowie Handlungsfeld Überbetriebliche Vernetzung und Beratung – Kapitel 6.7.3).

____________________________

135 Jordan, S. & E. von der Lippe (2013). Teilnahme an verhaltenspräventiven Maßnahmen. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt Jg. 56. Nr. 5/6. S. 878-884.

136 Europäisches Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung (1997/2007): Luxemburger Deklaration zur Gesundheitsförderung in der Europäischen Union (http://www.netzwerk-unternehmen-fuer-gesundheit.de -> Luxemburger Deklaration).

137 Einzelmaßnahmen wie z. B. Gesundheitstage können in der Belegschaft für das Thema sensibilisieren und den Einstieg in einen strukturierten Gesundheitsförderungsprozess gemäß diesem Leitfaden erleichtern.

 

6.3 Der betriebliche Gesundheitsförderungsprozess

Nach § 20a SGB V ist betriebliche Gesundheitsförderung ein Prozess mit den Elementen Erhebung der gesundheitlichen Situation einschließlich ihrer Risiken und Potenziale, der hieraus abgeleiteten Entwicklung von Vorschlägen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation sowie der Unterstützung von deren Umsetzung, jeweils unter Beteiligung der Versicherten und der Verantwortlichen für den Betrieb. Bei nachhaltiger Etablierung der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) schließt sich an die Umsetzung eine (erneute) Analysephase an, in der die Ergebnisse der bereits durchgeführten Maßnahmen ermittelt und bewertet werden. Wesentliche Elemente des Verständnisses der BGF als eines Lernzyklus sind damit bereits im Gesetzeswortlaut verankert.

Das im Folgenden dargestellte systematische Vorgehen (Abb. 6) beschreibt grundlegende Anforderungen an die BGF; die Ausgestaltung von Strukturen, Prozessen und Leistungen kann entsprechend der Betriebsgröße variieren.

Zu Beginn des Prozesses sollte betriebsintern die grundsätzliche Bereitschaft der Betriebsparteien (Firmenleitung und Betriebs-/Personalrat/Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kleinbetrieben), in einen BGF-Prozess einzutreten geklärt und für die Mitwirkung der Belegschaft an einer systematischen betrieblichen Gesundheitsförderung geworben werden. Diese Phase wird auch als Vorbereitungsphase bezeichnet 138 . Danach sollten Strukturen aufgebaut werden, durch die der Gesundheitsförderungsprozess gesteuert wird. Der Gesundheitsförderungsprozess gliedert sich in die Schritte „Analyse“, „Maßnahmeplanung“, „Umsetzung“ und „Evaluation“. Die Sensibilisierung aller Beteiligten für die Gesundheitsförderung sowie die interne Öffentlichkeitsarbeit stellen kontinuierliche Aufgaben während des gesamten Prozesses dar.


Abb. 6: Der betriebliche Gesundheitsförderungsprozess

Kontinuierliche Sensibilisierung und interne Öffentlichkeitsarbeit
Vorbereitungs­phase
Nutzung / Aufbau von Strukturen
Analyse
Maßnahmen­planung
Umsetzung
Evaluation

 

Information und Beratung des Unternehmens

 

Sensibilisierung und Motivierung der betrieblich Verantwortlichen

 

Entscheidung zum Einstieg in einen Gesundheitsförder­ungsprozess
Auftragsklärung /grundsätzliche Zielsetzung

 

Vernetzung mit externen und internen Akteuren

 

Aufbau eines Steuerungsgremiums

 

Entwicklung eines gemeinsamen Gesundheitsförde­rungsverständnisses
Vorhandene Daten und Erkenntnisse*, z. B. Gefährdungs­beurteilung, anonymis. BEM-Fallauswertung, Ergebnisse arb.-med. Vorsorge

 

KK-Routinedaten

 

Für BGF-Zwecke erhobene bzw. aufbereitete Daten, z. B. Arbeitssituations-, Altersstrukturanalyse, Mitarbeiterkonferenz

 

Interpretation und Diskussion der Analyseergebnisse im Steuerungs­gremium

 

Systematische Ableitung von Maßnahmen nach spezifischer Zielsetzung, Dringlichkeit und verfügbaren Ressourcen
Beratung zu verhältnispräventiven Maßnahmen, z. B. ergonomische oder arbeitsorgansiatorische Maßnahmen entsprechend den BGF-Handlungsfeldern

 

Unterstützung / Umsetzung verhaltenspräventiver Maßnahmen entsprechend den BGF-Handlungsfeldern
KK-Routinedaten, z. B. Krankenstand, Gesundheitsquote

 

Befragungsbasierte Daten, z. B. Arbeitszufriedenheit, subjektive Gesundheit

 

Befragung zu Einzelmaßnahmen

Partizipation von Zielgruppen/Stakeholdern, z. B. über Gesundheitszirkel/-werkstätten, Fokusgruppe

Empowerment von Zielgruppen

*Die Erhebung dieser Daten stellt keine GKV-Leistung dar.
Quelle: Modifiziert in Anlehnung an G. Mahltig & S. Voermans (2011): Vernetzung und Qualität – Vernetzung als Erfolgsfaktor im Gesundheitswesen. In: N. Klusen, A. Meusch & E. Thiel (Hg.): Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen. Baden-Baden (Nomos). S. 29-56.


1. Vorbereitungsphase
Durch Information und Beratung einschließlich Medien unterstützen die Krankenkassen das Interesse von Betrieben für betriebliche Gesundheitsförderung. In der persönlichen Beratung interessierter Betriebe können die betrieblich Verantwortlichen und die Beschäftigten selbst für nachhaltige Gesundheit in der Arbeitswelt sensibilisiert und auf ein gemeinsames Verständnis von BGF vorbereitet werden. Am Ende der Vorbereitungsphase steht die Grundsatzentscheidung der betrieblich Verantwortlichen, überhaupt in einen Gesundheitsförderungsprozess einzutreten.

2. Strukturaufbau

Zu Beginn des Gesundheitsförderungsprozesses ist es wichtig, alle betrieblichen Akteurinnen und Akteure, die mit der Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befasst sind, zusammenzuführen. Hierfür wird empfohlen, ein betriebsinternes Gremium – Steuerungsgremium, Arbeitskreis Gesundheit o. ä. – zu etablieren, das den Gesamtprozess steuert und koordiniert. Bestehende Strukturen zum Thema Gesundheit im Betrieb, wie z. B. der Arbeitsschutzausschuss nach § 11 des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsinge nieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit können als Steuerungsstruktur für die Gesundheitsförderung genutzt werden.

Im Steuerungsgremium für die betriebliche Gesundheitsförderung sollten Vertreterinnen und Vertreter aller an der Gesundheitsförderung beteiligten Gruppen mitwirken:
• Betriebsleitung,
• Führungskräfte,
• Personalabteilung, insbesondere die für die Personalentwicklung zuständige Stelle,
• Betriebs- bzw. Personalrat/Vertretung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kleinbetrieben,
• Betriebsärztin/Betriebsarzt,
• Fachkraft für Arbeitssicherheit,
• ggf. Schwerbehindertenvertretung,
• ggf. Gleichstellungsbeauftragte,
• ggf. Sucht- und Konfliktbeauftragte sowie Sozialberatung.

Es kann sinnvoll sein, Vertreterinnen/Vertreter des Controllings in das Steuerungsgremium einzubeziehen, um ihre methodischen Kompetenzen bei der quantitativen Erfassung von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen für die Evaluation des Gesundheitsförderungsprozesses nutzbar zu machen.

Das Steuerungsgremium sollte einen innerbetrieblichen Koordinator bestimmen. Die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure bringen ihre jeweilige professionell geprägten Sichtweisen und spezifischen Interessen in den Gesundheitsförderungsprozess ein. Das Steuerungsgremium verständigt sich auf die in den Blick zu nehmenden gesundheitlichen Belastungen, Ressourcen und Gestaltungsbereiche. Der Strukturaufbau ist dann erfolgreich, wenn im Steuerungsgremium ein gemeinsames, von allen getragenes Grundverständnis von betrieblicher Gesundheitsförderung entwickelt wird, eine Verständigung über die grundsätzliche Zielsetzung erfolgt und ein grundsätzliches Einvernehmen über das weitere Vorgehen erzielt wird. In Kleinbetrieben wird die Funktion des Steuerungsgremiums durch regelmäßige Gespräche mit der Inhaberin/mit dem Inhaber und ggf. weiteren betrieblichen Verantwortlichen erfüllt. Ferner kann hier die Steuerung der innerbetrieblichen Gesundheitsförderung auch auf überbetrieblicher Ebene (Branche, Innung) unterstützt werden (s. Kapitel 6.6).

3. Analyse

Ziel dieser Phase ist die Ermittlung des Handlungsbedarfs durch Erhebung der gesundheitlichen Situation im Betrieb einschließlich Risiken und Potenzialen. Für den Betrieb als Ganzes sowie die einzelnen Betriebsteile und Beschäftigtengruppen sollen die gesundheitliche Situation sowie die relevanten Belastungen und Ressourcen möglichst systematisch ermittelt werden. Hierfür bietet es sich an, zunächst die vorhandenen Erkenntnisse über die gesundheitlichen Bedingungen zusammenzutragen und gemeinsam im Steuerungsgremium auszuwerten. Datenquellen hierfür sind insbesondere Analysen des Arbeitsunfähigkeitsgeschehens im Betrieb, Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz, anonymisierte Fallauswertungen des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX sowie Erkenntnisse der arbeitsmedizinischen Vorsorge und betriebsärztlicher Tätigkeit. Weitere geeignete Analyseinstrumente zur Erfassung der gesundheitlichen Risiken und Potenziale sind u. a. Arbeitsplatzbegehungen, standardisierte Befragungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Arbeit und Gesundheit, Altersstrukturanalysen (Projektionen der zukünftigen Altersverteilung und des damit einhergehenden gesundheitlichen Problempanoramas im Unternehmen) sowie als beteiligungsorientierte Verfahren z. B. Arbeitssituationsanalysen und Gesundheitszirkel.

Sofern die Analysen arbeitsbedingte Gefährdungen ergeben, bildet deren Beseitigung eine Aufgabe der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers als Teil des Arbeitsschutzes und ist von diesen zu finanzieren.

4. Maßnahmeplanung

Das Steuerungsgremium interpretiert und bewertet die gesammelten Informationen und entwickelt daraus spezifische Ziele, die in Form eines Maßnahmenplans für die einzelnen Arbeitsbereiche und Personengruppen operationalisiert werden. Dieser Maßnahmenplan sollte verhaltens- mit verhältnisbezogenen Maßnahmen kombinieren und neben der Reduzierung von Risiken auch die Stärkung von Schutzfaktoren für die körperliche wie auch die psychische Gesundheit (z. B. soziale Unterstützung, Förderung von Kompetenzen für einen gesundheitsgerechten Umgang miteinander) vorsehen. Er bringt die Maßnahmen nach Dringlichkeit und verfügbaren Ressourcen in eine Reihenfolge und legt Verantwortlichkeiten und Fristen fest. Das Steuerungsgremium wirkt im Betrieb auf die Realisierung des Maßnahmenplans hin.

5. Umsetzung

Die vom Steuerungsgremium befürworteten Maßnahmen aus den unten definierten Handlungsfeldern (s. Kapitel 6.7 „Handlungsfelder“) werden entsprechend dem Maßnahmenplan schrittweise umgesetzt.

6. Evaluation

Die Ergebnisse der betrieblichen Gesundheitsförderung sollen ermittelt und für die Bestimmung des Handlungsbedarfs im folgenden Zyklus genutzt werden. Empfehlenswert ist die kombinierte Verwendung von prozess- und befragungsproduzierten Kennzahlen als Evaluationskriteri- en. Beteiligungsorientierte Methoden wie z. B. Gesundheitszirkel/–werkstätten und Arbeitssituationsanalysen sind geeignete Instrumente sowohl zur Analyse, Maßnahmeplanung, Umsetzung als auch zur Evaluation.

In Abhängigkeit von betrieblichen Besonderheiten sind Abweichungen von diesem Vorgehensschema möglich; allerdings muss die logische Folge von Bedarfsanalyse, Interventionsplanung, Umsetzung und Erfolgskontrolle gewährleistet sein. Bei der Prozessgestaltung kommt der ausführlichen betrieblichen Kommunikation sowie der Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin in allen Phasen der Analyse, Planung, Umsetzung und Evaluation eine besondere Bedeutung zu. Die Ermöglichung vielfältiger Arten einer Beteiligung der Belegschaft ist unter Gesichtspunkten der Akzeptanz und Erfolgsaussicht der Maßnahmen unverzichtbar.

____________________________

138 Pieck, N. unter Mitarbeit von A. Wartmann, K. Bolm, E. Linnemann, G. Schnelle, K. Schahn & B. Gutheil (2012). Betriebliches Gesundheitsmanagement fällt nicht vom Himmel. Handlungsanleitung zum Einstieg ins Betriebliche Gesundheitsmanagement. 2. überarb. Aufl. Düsseldorf (Hans-Böckler-Stiftung). S. 18.

 

6.4 Leistungsarten und Förderkriterien

Mögliche Leistungen der Krankenkassen in der betrieblichen Gesundheitsförderung sind: • Analyseleistungen (z. B. Arbeitsunfähigkeits-, Arbeitssituations- und Altersstrukturanalysen, Befragungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Durchführung von Workshops u. a. Verfahren) zur Bedarfsermittlung
• Beratung zur Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen
• Beratung zur Ziel- und Konzeptentwicklung sowie zu allen Themen der Beschäftigtengesundheit einschließlich Unterstützungsmöglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
• Unterstützung beim Aufbau eines Projektmanagements
• Moderation von Arbeitsgruppen, Gesundheitszirkeln und ähnlichen Gremien
• Qualifizierung/Fortbildung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in Prävention und Gesundheitsförderung
• Umsetzung verhaltenspräventiver Maßnahmen
• Interne Öffentlichkeitsarbeit
• Dokumentation, Evaluation und Qualitätssicherung

Für Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung sollten finanzielle und personelle Ressourcen des Unternehmens vorgesehen werden.

Von der Förderung ausgeschlossen sind:
• Aktivitäten, die zu den Pflichtaufgaben eingebundener oder anderer Akteurinnen/Akteure und Partnerinnen/Partner gehören
• Isolierte, d. h. nicht in ein Gesamtkonzept eingebundene, Maßnahmen externer Anbieterinnen/Anbieter und deren individuumsbezogene Abrechnung
• Forschungsprojekte/Screening ohne Interventionsbezug
• Aktivitäten von politischen Parteien sowie parteinahen Organisationen und Stiftungen
• Aktivitäten, die einseitig Werbezwecken für bestimmte Einrichtungen, Organisationen oder Produkte dienen
• Berufliche Ausbildung und Qualifizierungsmaßnahmen, die nicht an das Projekt gebunden sind
• Kosten für Baumaßnahmen, Einrichtungsgegenstände, Mobiliar, technische Hilfsmittel und persönliche Schutzausrüstung
• Angebote, die weltanschaulich nicht neutral sind

Die Unterstützung von Betrieben mit Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung kann auf zwei unterschiedlichen Zugangs- und Verbreitungswegen erfolgen:
• Unmittelbar durch Gesundheitsförderungsaktivitäten im Betrieb selbst
• Mittelbar durch Gesundheitsförderungsaktivitäten in betriebsübergreifenden Strukturen wie Netzwerken und Unternehmensorganisationen sowie durch überbetriebliche Informations- und Fortbildungsveranstaltungen, Medien (Print- und Onlineangebote) sowie betriebsübergreifende Beratungen (s. Handlungsfeld Überbetriebliche Vernetzung und Beratung)

Ausgehend von den Qualitätskriterien für die betriebliche Gesundheitsförderung der European Foundation for Quality Management 139 sollten Krankenkassen Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung nur dann fördern, wenn die folgenden unternehmensseitigen Bedingungen gegeben sind bzw. die Bereitschaft besteht, sie im Laufe des Prozesses zu schaffen:
• Es existiert eine Unternehmensleitlinie zur betrieblichen Gesundheitsförderung oder ein Äquivalent (in Klein-/Kleinstbetrieben: Absichtserklärung).
• Die Beschäftigten bzw. deren gewählte Vertretungen (Betriebs- bzw. Personalrat) werden an Entscheidungen in Gesundheitsfragen beteiligt.
• Gesundheitsförderungsmaßnahmen basieren auf einer (möglichst regelmäßig aktualisierten) Ist-Analyse.
• Maßnahmen werden durch ein internes Gremium gesteuert; in dieses sollte der Betrieb auch den Arbeitsschutzausschuss nach § 11 des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) einbeziehen.
• Alle Maßnahmen sind in eine regelmäßige Auswertung und Begleitung eingebunden.
• Die Ergebnisse von Maßnahmen werden dokumentiert und sind den an der BGF beteiligten Partnerinnen und Partnern zugänglich.

Das Engagement der GKV in der betrieblichen Gesundheitsförderung orientiert sich am Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Die Förderung von Maßnahmen durch Krankenkassen ist daher grundsätzlich zeitlich befristet. Betriebe sollen unterstützt werden, nachhaltig auch nach Beendigung einer GKV-Förderung die BGF in eigener Verantwortung weiterzuführen. Hierzu trägt die Möglichkeit einer bedarfsorientiert auch wiederholten Förderung von Analyse- und Beratungsleistungen bei. Auch die Einkommensteuerbefreiung für primärpräventive und gesundheitsförderliche Leistungen nach § 3 Nr. 34 Einkommensteuergesetz kann für die nachhaltige Verankerung betrieblicher Gesundheitsförderung genutzt werden (s. hierzu auch Kapitel 7.2 „Arbeitgeber geförderte Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen“).

Interessierte Betriebe können sich an jede Krankenkasse ihrer Wahl wenden, bei der ein Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versichert ist. Eine Kontaktaufnahme ist über die Firmenkundenberater sowie die Arbeitgeberportale der Krankenkassen jederzeit möglich 140 . In der Praxis stellen Krankenkassen in der betrieblichen Gesundheitsförderung eigene Dienstleistungen zur Verfügung oder arbeiten mit von ihnen beauftragten externen Dienstleistern zusammen.

Die finanziellen Fördermöglichkeiten der Krankenkassen sind durch den Gesetzgeber begrenzt. Schwerpunkte und Voraussetzungen kann die Krankenkasse in dem von diesem Leitfaden abgesteckten Rahmen selbst festlegen. Betriebe sollen über die Leistungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung informiert werden; interessierte Betriebe sollen Beratung zur Implementierung betrieblicher Gesundheitsförderung erhalten. Die Förderung der Krankenkassen kann in persönlicher, sächlicher und/oder finanzieller Form erfolgen. Über die Einzelheiten wird auf Basis dieses Leitfadens vorab eine Vereinbarung zwischen der/den Krankenkasse(n) und dem Betrieb abgeschlossen. Eine nachträgliche Finanzierung bzw. Förderung von Maßnahmen ist nicht möglich (keine Abtretungserklärungen). Bei Kooperationsprojekten mit Beteiligung unterschiedlicher Krankenkassen kann der von der GKV zu finanzierende Anteil zwischen den beteiligten Krankenkassen nach Mitgliederanteil aufgeteilt werden. Krankenkassen können gegenüber nicht am BGF-Prozess beteiligten anderen Krankenkassen nachträglich keine finanziellen Forderungen geltend machen. Eine individuumsbezogene Abrechnung von verhaltenspräventiven Bausteinen im Rahmen der BGF mit anderen Krankenkassen ist ebenfalls ausgeschlossen.

____________________________

139 Europäisches Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (1999): Qualitätskriterien für die betriebliche Gesundheitsförderung. Essen (Internet: http://www.dnbgf.de -> Downloads -> Luxemburger Deklaration, dort unter „Qualitätskriterien für die BGF“).

140 Eine Linkliste zu den BGF-Ansprechpartnern der Krankenkassen findet sich auch auf der Homepage des GKV-Spitzenverbandes unter www.gkv-spitzenverband.de -> Krankenversicherung -> Prävention/Selbsthilfe/Beratung -> Betriebliche Gesundheitsförderung.

 

6.5 Verknüpfung der für die Gesundheit relevanten inner- und überbetrieblichen Akteurinnen/ Akteure im betrieblichen Gesundheitsmanagement

Betriebliche Gesundheitsförderung ist ein für Arbeitgeberinnen/Arbeitgeber sowie Versicherte freiwilliger Leistungskomplex. Der gesetzlich verpflichtende Arbeits- und Gesundheitsschutz (auf Basis des Arbeitsschutzgesetzes und des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheits ingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG), des SGB VII und weiterer Gesetze 141 ) und das für Arbeitgeber verpflichtende, für Beschäftigte freiwillige betriebliche Eingliederungsmanagement (§ 84 Abs. 2 SGB IX) bilden weitere wichtige Regelungsbereiche für die Gesundheit der Beschäftigten. Positive Auswirkungen auf die Beschäftigtengesundheit gehen auch von den freiwilligen betrieblichen Angeboten der Suchtund Sozialberatung, des Betriebssports sowie von Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus. Soweit Betriebe solche Angebote vorhalten, sollten sie im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements verknüpft werden. Die Rentenversicherung bietet auf Basis des § 31 Abs. 2 SGB VI Versicherten mit besonderen gesundheitlichen Risiken, bei denen aber noch kein Rehabilitationsbedarf nach § 15 SGB VI besteht, berufsbegleitend medizinische Teilhabeleistungen an.

Wenn die betriebliche Gesundheitsförderung mit den weiteren für die Gesundheit in der Arbeitswelt bedeutsamen Diensten verknüpft wird, kann sie in ein betriebliches Gesundheitsmanagement münden (s. Abb. 7).

Die Definitionen betrieblichen Gesundheitsmanagements 142 stellen ab auf:
• die Verankerung von Gesundheit als betriebliches Ziel und Querschnittsaufgabe in allen Leitungsfunktionen mit Hilfe von Managementstrategien,
• die Abstimmung und Koordinierung der für die Gesundheit der Beschäftigten zuständigen inner- und außerbetrieblichen Dienste und Akteurinnen/Akteure,
• die systematische Gestaltung von gesundheitsförderlichen innerbetrieblichen Strukturen und Prozessen einschließlich der Befähigung zu gesundheitsbewusstem Verhalten.

Betriebliche Gesundheitsförderung besitzt zahlreiche Berührungspunkte und Schnittmengen mit dem gesetzlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Die einzelnen Bereiche können im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements vielfach sinnvoll miteinander verknüpft werden, wie folgende Beispiele zeigen 143 :
• Beteiligungsorientierte Analyseinstrumente(z. B. Arbeitssituationsanalyse und betriebliche Gesundheitszirkel) der betrieblichen Gesundheitsförderung können einen Beitrag zur Unterstützung des betrieblichen Arbeitsschutzes leisten.
• In Führungskräfteschulungen können Themen der betrieblichen Gesundheitsförderung mit solchen des Arbeitsschutzes und des BEM kombiniert vermittelt werden 144 .
• Bei der Planung betrieblicher Gesundheitsförderung kann auf vorhandene Datenquellen, wie z. B. anonymisierte Fallauswertungen des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX zurückgegriffen werden.

Abb. 7: Gesundheit in der Arbeitswelt (nur gesetzlich geregelte Bereiche)

Zur Initiierung und Koordinierung dieser Verknüpfungen sind u. a. die innerbetrieblichen Dienste des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – Betriebsärztin/Betriebsarzt, Werksärztin/Werksarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit und Sicherheitsbeauftragte – wichtige innerbetriebliche Akteurinnen und Akteure. Kooperationen mit weiteren außerbetrieblichen Partnerinnen und Partnern können das betriebliche Gesundheitsmanagement unterstützen. So können komplementäre Informationsquellen genutzt, Doppelarbeiten vermieden sowie das Gesundheitsmanagement ganzheitlich gestaltet werden. Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften und Unfallkassen) verfügen über hohe Kompetenzen zur Identifizierung arbeitsbedingter Gesundheitsrisiken sowie zur Entwicklung und Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen einschließlich Maßnahmen zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit. Entsprechend verpflichtet § 20 a SGB V Krankenkassen bei der betrieblichen Gesundheitsförderung zur Zusammenarbeit mit den zuständigen Unfallversicherungsträgern. Die Grundzüge der Zusammenarbeit sind in einer Rahmenvereinbarung niedergelegt 145 . Verzahnungsmöglichkeiten der Aktivitäten von Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern bestehen z. B. bei der
• Zusammenarbeit in Steuerungsgremien,
• Durchführung von Analysen, Risikobewertungen und Befragungen von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern,
• Qualifizierung von Führungskräften und Multiplikatorinnen/Multiplikatoren,
• Gestaltung von Medien/innerbetrieblichen Öffentlichkeitsarbeit/überbetrieblichen Informations kampagnen,
• Betreuung von Betrieben im Rahmen von Netzwerken.

Krankenkassen und Unfallversicherungsträger sollen sich wechselseitig über ihre Vorhaben in einem Betrieb informieren. Eine eventuelle Einbindung des jeweils anderen Partners/der Partnerin ist im Benehmen mit dem Betrieb zu klären. Bedarfsbezogen sollen Absprachen getroffen werden, wie sich die Beteiligten entsprechend ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen in gemeinsame Aktivitäten einbringen.

Weitere wichtige externe Kooperationspartnerinnen/Kooperationspartner im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements sind (mit beispielhafter Nennung von möglichen Beiträgen):
• Staatlicher Arbeitsschutz:
   ~ Information und Beratung der Betriebe zu allen Themen des Arbeitsschutzes
   ~ Überwachung und Kontrolle der Umsetzung der Arbeitsschutzgesetze und –verordnungen
   ~ Hierbei Fokus auf verhältnispräventive Maßnahmen insbesondere innerbetriebliche Strukturen und Prozesse.
• Träger der gesetzlichen Rentenversicherung:
   ~ Ambulante und stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
   ~ Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
• Integrationsämter:
   ~ Zuschüsse zu behinderten- bzw. leidensgerechten Arbeitsplatzausstattungen.

Zur Förderung einer bedarfsgerechten Inanspruchnahme und wechselseitigen Verzahnung der von externen Partnerinnen und Partnern vorgehaltenen Leistungen sollten die oben Genannten in der Beratung der betrieblich Verantwortlichen nicht nur auf die jeweils eigenen Instrumente und Angebote, sondern auch auf die Unterstützungsmöglichkeiten der anderen Partnerinnen und Partner hinweisen.

Es ist Aufgabe der betrieblichen Führung, den gesetzlichen Arbeitsschutz, das betriebliche Eingliederungsmanagement und die betriebliche Gesundheitsförderung innerbetrieblich systematisch zu institutionalisieren und miteinander zu verzahnen. Krankenkassen unterstützen Betriebe bei der Etablierung von innerbetrieblichen Steuerungsstrukturen als einem wesentlichen Qualitätsmerkmal betrieblicher Gesundheitsförderung 146 .

____________________________

141 Alle Regelungen zur Umsetzung des gesetzlichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Beschäftigten im Betrieb unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrates/des Personalrates.

142 Faller, G. (Hrsg.) (2010): Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern u. a. (Huber) S. 25. Bamberg, E., A. Ducki & A.-M. Metz (Hrsg.) (2011): Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt. Ein Handbuch. Göttingen u. a. (Hogrefe). S. 128 und 133, Oppolzer, A. (2010). Gesundheitsmanagement im Betrieb. Integration und Koordination menschengerechter Gestaltung der Arbeit. 2. erweiterte und aktualisierte Auflage. Hamburg (VSA). S. 23 und 31.

143 Faller, G. (Hrsg.) 2010. Lehrbuch betriebliche Gesundheitsförderung. S. 37 f., 195.

144 Führungskräfte prägen durch ihr Verhalten und ihr Vorbild maßgeblich die betrieblichen Umgangsweisen mit arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und das generelle Klima des sozialen Miteinanders im Betrieb. Außer zu Themen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes können Führungskräfteschulungen nach § 3 Abs. 2 ArbSchG daher auch zu Themen einer „gesundheitsgerechten Führung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ qualifizieren.

145 Rahmenvereinbarung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, des Spitzenverbandes der landwirtschaftlichen Sozialversicherung und des GKV-Spitzenverbandes unter Beteiligung der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene zur Zusammenarbeit bei der betrieblichen Gesundheitsförderung und der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren vom Oktober 2009 (Internet: www.praevention-arbeitswelt.de). Dort finden Sie auch Beispiele und Handlungshilfen erfolgreicher Zusammenarbeit.

146 Nach den GKV/MDS-Präventionsberichten sind Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung bei Vorhandensein einer innerbetrieblichen Steuerungsstruktur qualitativ anspruchsvoller und nachhaltiger als ohne eine solche Struktur: GKV-Spitzenverband und Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (2012). Präventionsbericht 2012. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung: Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung. Essen. S. 89.

 

6.6 Betriebliche Gesundheitsförderung in Klein- und Kleinstbetrieben

Circa 40 % der Beschäftigten in Deutschland arbeiten in Klein- und Kleinstbetrieben mit weniger als 50 bzw. weniger als zehn Beschäftigten. Klein- und Kleinstbetriebe weisen gegenüber großen und auch größeren mittelständischen Unternehmen eine Reihe betriebsstruktureller bzw. arbeitsprozessbezogener Besonderheiten auf, die für die Planung und Umsetzung betrieblicher Gesundheitsförderung bedeutsam sind:
• Geringere Arbeitsteiligkeit der Produktions- und Dienstleistungsprozesse
• Kürzere Kommunikations- und weniger formalisierte Entscheidungswege
• Häufig fehlende Belegschaftsvertretungen und Strukturen des Arbeitsschutzes
• Meist flachere Hierarchien und geringere soziale Distanz zwischen Führungskräften und Mitarbeiterschaft (insbesondere in eigentümergeführten Unternehmen)
• Damit verbunden geringere Distanz von Berufs- und Privatsphäre
• Größere Flexibilitätsanforderungen
• Mitarbeit ehemaliger Betriebsleiterinnen/Betriebsleiter bis ins hohe Alter

Diese Merkmale von Klein- und Kleinstunternehmen haben für die betriebliche Gesundheitsförderung teils fördernde, teils aber auch hemmende Auswirkungen. Fehlende Mitbestimmungs- und Arbeitsschutzstrukturen als mögliches Hemmnis für die Gestaltung betrieblicher Gesundheitsförderung können sehr gut durch die kürzeren Entscheidungswege in ihrer Wirkung kompensiert werden. Die Besonderheiten von Kleinbetrieben führen in der Regel dazu, dass die betriebliche Gesundheitsförderung informeller angelegt ist als in größeren Betrieben und neben dem Tagesgeschäft von nicht speziell hierfür ausgebildeten Verantwortlichen initiiert und gesteuert werden muss. Der Inhaberin/dem Inhaber des Klein(st)betriebs kommt noch stärker als in größeren Unternehmen eine Schlüsselrolle für die Initiierung und Ausrichtung von betrieblicher Gesundheitsförderung zu. Bei der Ansprache und Motivierung sollten daher die besonderen Bedürfnisse der Inhaberin/des Inhabers Berücksichtigung finden.

Bei Zugrundelegung dieser Rahmenbedingungen sollte der Kreis von Unternehmen, in denen krankenkassenseitig Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung finanziell oder strukturell unterstützt werden, auf diejenigen fokussiert werden, die gesundheitliche Fragen auf der Entscheiderebene ernst nehmen bzw. bereits begonnen haben, gesundheitliche Kriterien in die betrieblichen Abläufe zu integrieren. Eine Eigeninitiative des Klein- und Kleinstbetriebs in den genannten Richtungen sollte erkennbar sein. Isolierte einmalige und primär von externen Akteurinnen und Akteuren getragene Aktivitäten der betrieblichen Gesundheitsförderung haben sich hinsichtlich einer dauerhaften Wirksamkeit demgegenüber – unabhängig von der Betriebsgröße – nicht bewährt.

Die unmittelbare Betreuung von Klein- und Kleinstbetrieben im Rahmen der BGF erfolgt grundsätzlich wie diejenige größerer Betriebe entsprechend dem betrieblichen Gesundheitsförderungsprozess mit den Schritten „Analyse“, „Maßnahmeplanung“, „Umsetzung“ und „Evaluation“. Das für die Analyse der gesundheitlichen Situation im Betrieb nutzbare Methodenrepertoire konzentriert sich bei Klein- und Kleinstbetrieben stärker auf Verfahren mit direktem Kontakt. Arbeitsunfähigkeitsanalysen von Krankenkassen und schriftliche Beschäftigtenbefragungen kommen aus Datenschutzgründen nur eingeschränkt in Frage; zur Sensibilisierung können hier auch entsprechende branchenspezifische Erhebungen herangezogen werden. Daher ist in Kleinbetrieben eine Konzentration auf beteiligungsorientierte Verfahren wie z. B. Gesundheitszirkel und Gruppendiskussionen in allen Phasen des Gesundheitsförderungsprozesses sinnvoll.

Die mittelbare Betreuung auf überbetrieblicher Ebene (z. B. über Branchenverbände, Innungen, Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Kreishandwerkerschaften) ist eine gerade für KIein- und Kleinstbetriebe sinnvolle Betreuungsform, um möglichst vielen dieser Betriebe und deren Beschäftigten die Teilnahme an betrieblicher Gesundheitsförderung zu ermöglichen ( vgl. hierzu Handlungsfeld „Überbetriebliche Vernetzung und Beratung“, Kapitel 6.7.3). Bei mittelbarer Betreuung durch überbetriebliche Vernetzung können z. B. regelmäßige Sitzungen des Steuerungsgremiums durch die Teilnahme an moderierten Projekttagen ersetzt werden. An diesen treffen sich die in betrieblicher Gesundheitsförderung aktiven Unternehmer oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus mehreren Kleinbetrieben der Region, um sich gegenseitig geplante oder laufende Projekte vorzustellen, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam die nächsten Schritte zu diskutieren. Vielfach bestehen in den Regionen auch Unternehmensnetzwerke, die den Erfahrungsaustausch organisieren sowie Lernmöglichkeiten und wechselseitige Unterstützung bei der Planung und Umsetzung von Projekten bieten. Krankenkassen unterstützen diese Netzwerke bedarfsbezogen und bieten im Einzelfall speziell für Kleinbetriebe erarbeitete Kurskonzepte und Selbstlernmaterialien an. Diese Form der mittelbaren Betreuung ist auch aus Effizienzgründen sinnvoll. Das Forum „Kleine und mittlere Unternehmen“ (KMU) des Deutschen Netzwerks Betriebliche Gesundheitsförderung (DNBGF) stellt ein Positionspapier zu den relevanten Faktoren in der Gesundheitsförderung in Kleinbetrieben zur Verfügung und ermöglicht einen fachlichen Austausch von Betrieben, Forschern und Praktikern in den regelmäßigen Tagungen des Forums ("http://www.dnbgf.de/forum-kleine-und-mittlere-unternehmen-kmu.html).

6.7 Handlungsfelder

Die Handlungsfelder beschreiben die möglichen Maßnahmen, die auf Grundlage detaillierter Analysen geplant und im Entscheidungsgremium (z. B. AK Gesundheit) beschlossen werden. Im Prozessverlauf von Analyse, Maßnahmeplanung, Umsetzung und Evaluation sind die Handlungsfelder in die Umsetzungsphase einzuordnen (s. o. Abb. 6).

Im Rahmen dieses oben beschriebenen betrieblichen Gesundheitsförderungsprozesses unterstützen Krankenkassen Maßnahmen in den folgenden Handlungsfeldern (Abb. 8):
• Beratung zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung,
• gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil,
• überbetriebliche Vernetzung und Beratung entsprechend den jeweils definierten Kriterien.

Die GKV setzt im Interesse hoher Wirksamkeit auf eine Kombination verhältnis- und verhaltenspräventiver Maßnahmen. Mit diesen Maßnahmen unterstützen die Krankenkassen Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen bei der Minderung gesundheitlicher Risiken und der Stärkung gesundheitlicher Ressourcen einschließlich der Stärkung gesundheitlicher Eigenverantwortung der Beschäftigten. Betriebliche Gesundheitsförderung soll auch die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels unterstützen und zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie/ Privatleben beitragen. Alle Maßnahmen sollen die Diversität der Beschäftigten berücksichtigen und bedarfsbezogen alters-, geschlechts- sowie kultur-/migrationssensibel ausgestaltet werden.

 

Abb. 8: Handlungsfelder und Präventionsprinzipien in der betrieblichen Gesundheitsförderung

 

Anbieterqualifikation:

Die Durchführung von Maßnahmen der BGF durch die oder im Auftrag der Krankenkassen erfolgt durch Fachkräfte mit einem staatlich anerkannten Berufs- oder Studienabschluss mit Bezug zu Gesundheit und Prävention. Diese Fachkräfte müssen außerdem über Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen Organisationsentwicklung, Organisationsberatung, Prozess- und Projektmanagement sowie über eine auf das jeweilige Handlungsfeld bezogene themenspezifische Qualifikation verfügen. Dies gilt insbesondere für die Handlungsfelder „Gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung“ (Kapitel 6.7.1) sowie „Überbetriebliche Vernetzung und Beratung“ (Kapitel 6.7.3).

Für individuumsbezogene verhaltenspräventive Maßnahmen im Rahmen betrieblicher Gesundheitsförderung im Handlungsfeld „Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil“ (Kapitel 6.7.2) gelten die Anforderungen an die Anbieterqualifikation in den Kapiteln 5.6.1-5.6.4 entsprechend.

6.7.1 Beratung zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung:

Die Gestaltung der Arbeit beeinflusst das Ausmaß körperlicher und geistiger Anforderungen, die jede Tätigkeit und jeden Arbeitsplatz kennzeichnen. Zur Arbeitsgestaltung gehören außer der Ausgestaltung der Aufgabe selbst auch die Arbeitsorganisation, die Arbeitsumgebung und die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz (Abb. 9) 147 .

 

Abb. 9: Beratungen zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung (Themen)

 

Krankenkassen beraten Betriebe zu Möglichkeiten der Berücksichtigung gesundheitlicher Belange bei der Arbeitsgestaltung. Neben eigenen Leistungen im Rahmen dieses Leitfadens weisen sie auf Angebote und Hilfen weiterer Zuständiger und Verantwortlicher hin.

Präventionsprinzip: Gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeitstätigkeit und -bedingungen Bedarf:

Eine ungünstige Arbeitsgestaltung kann zu Fehlbeanspruchungen – verbunden mit betrieblichen und gesellschaftlichen Folgekosten – führen. Die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeitstätigkeit und -bedingungen bildet daher einen wichtigen Ansatzpunkt für Maßnahmen von Prävention und Gesundheitsförderung.

Nach der repräsentativen Beschäftigtenbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und des Bundesinstituts für berufliche Bildung 2012 werden von Beschäftigten vor allem psychische Faktoren im betrieblichen Umfeld als subjektiv belastend empfunden. 52 % der Beschäftigten geben an, „häufig“ unter starkem Termin- und Leistungsdruck zu arbeiten und 34 % der Befragten fühlen sich dadurch stark belastet. Auch Multitasking gehört zu den Faktoren, die von den Beschäftigten als stark oder sehr stark belastend wahrgenommen werden. Außerdem stellen Arbeitsunterbrechungen mit 44 % „häufig“ für Betroffene eine hohe Anforderung dar, die von 26 % der Befragten als belastend beschrieben wird 148 . Neben psychischen Anforderungen aus Arbeitsinhalt und –gestaltung ist auch die Arbeitszeitorganisation ein wichtiger gesundheitlicher Einflussfaktor: So können z. B. überlange Arbeitszeiten und Schichtarbeit zu einem Mangel an Erholungsmöglichkeit und einer Akkumulation von Ermüdung führen, die sich in der verbleibenden Ruhezeit nicht mehr ausgleichen lässt. Personen mit überlangen Arbeitszeiten weisen ein um 37 % erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf 149 .

Die heutige Arbeitswelt ist zudem durch ständige Veränderungsprozesse gekennzeichnet. Dabei spielen nicht nur große Restrukturierungsmaßnahmen eine Rolle, sondern auch viele kleine Veränderungen, die den Arbeitsalltag prägen. Im Stressreport 2012 gaben 42 % der Erwerbstätigen an, von Reorganisationen in den letzten zwei Jahren betroffen gewesen zu sein. Veränderungsprozesse gehen häufig mit steigenden Anforderungen an die Beschäftigten einher und führen zu unterschiedlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Je mehr Veränderungen stattfinden, desto mehr Beschäftigte fühlen sich „weniger gut oder schlecht“ 150 .

Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wird – bis ca. 2006 – ein Anstieg der psychischen Belastungen in der Arbeitswelt vermerkt; seither ist eine Stabilisierung auf hohem Niveau eingetreten 151 . Wichtige Themen einer gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung sind neben den arbeitsbezogenen Anforderungen im engeren Sinne auch die Qualität der sozialen Beziehungen zu Kolleginnen/Kollegen und Vorgesetzten am Arbeitsplatz sowie die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben 152 .

Das integrierte Belastungs- und Beanspruchungskonzept stellt mit den Begriffen „Belastung“, „Beanspruchung“, „Handlungsregulation“ und „Beanspruchungsfolgen“ einen einheitlichen disziplinübergreifenden begrifflichen Bezugsrahmen für die Erforschung der Auswirkungen von Arbeitsbelastungen auf die menschliche Gesundheit bereit: Unter psychischen Belastungen ist „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse (zu verstehen), die von außen auf einen Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“. Davon unterschieden ist der Begriff der psychischen Beanspruchung definiert als „die unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden oder augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien“ 153 . Die psychische Beanspruchung ist das Resultat der bewussten und unbewussten Verarbeitung der Belastung.

Psychische Belastungen in der Arbeitswelt führen nicht zwangsläufig zu psychischen oder körperlichen Erkrankungen; Belastungen sind untrennbar mit jeder Art Arbeit verbunden und nicht per se krankmachend. Sie besitzen vielmehr auch positive Auswirkungen wie Aktivierung und Lernförderung. Problematisch werden sie, wenn sie im Organismus zu Fehlbeanspruchungen führen. Stress stellt – neben psychischer Ermüdung und ermüdungsähnlichen Zuständen wie Monotonie – eine solche Fehlbeanspruchung in Reaktion auf unterschiedliche äußere Einwirkungen (Stressoren) dar. Die Stressreaktion bildet das Bindeglied zwischen äußeren Belastungen und körperlichen und psychischen Erkrankungen. Sie wird definiert als „unangenehm empfundener Zustand, der von der Person als bedrohlich, kritisch, wichtig und unausweichlich erlebt wird“ 154 . Anders als im alltäglichen Sprachgebrauch sind also nicht z. B. Zeitdruck und Hektik per se bereits Stress bzw. stressend. Vielmehr soll mit dem Begriff Stress „die Erfahrung eines drohenden oder realen Verlusts der Handlungskontrolle der arbeitenden Person in einer sie herausfordernden Situation“ 155 zum Ausdruck gebracht werden. Das Ausmaß der von den Stressoren ausgehenden Fehlbeanspruchung wird durch die subjektive Bewertung (neutral, herausfordernd, bedrohend) sowie die Verfügbarkeit von Ressourcen – z. B. Handlungsspielraum, soziale Unterstützung, Anerkennung, Erholung – moderiert.


Einflussreiche Arbeitsstressmodelle:

Insbesondere die folgenden wissenschaftlichen Modelle haben zur Aufklärung der Zusammenhänge zwischen arbeitsbedingten psychosozialen Stressoren und körperlichen und psychischen Erkrankungen bedeutende Beiträge geleistet 156 :
• Das Anforderungs-Kontrollmodell nach R. Karasek und T. Theorell: Stressauslösend ist danach vor allem die Kombination von hohen psychischen Anforderungen mit niedrigem Handlungsspielraum bei der Arbeit. Umgekehrt können ausreichende Handlungs- und Entscheidungsspielräume – in späteren Veröffentlichungen der Autoren wird auch auf die Wirkung sozialer Unterstützung eingegangen – vor negativen gesundheitlichen Folgen hoher psychischer Belastungen schützen.
• Die Handlungs-Regulationstheorie nach W. Hacker: Sie thematisiert die Auswirkungen der unmittelbaren Arbeitsbedingungen, insbesondere der Arbeitsaufgaben und ihrer Ausführbarkeit. Gesundheitsförderlich sind danach Arbeitsbedingungen, die anspruchsvolle Aufgaben mit Autonomie in der Arbeitstätigkeit kombinieren. Die Theorie betont die stressauslösende Wirkung von Komplikationen des Handlungsvollzugs (Störungen, Unterbrechungen bei der Arbeit) in Kombination mit hohen Anforderungen.
• Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen nach J. Siegrist: In diesem Modell wird „Arbeitsstress“ als Folge eines Ungleichgewichts von hoher beruflicher Verausgabung (Anforderungen, Belastungen) mit niedrigen Belohnungen (Gratifikationen in Gestalt von Geld, Sicherheit, beruflichem Aufstieg und Anerkennung) verstanden.

Die genannten Modelle benennen Belastungskonstellationen mit erhöhten Risiken für körperliche und psychische Erkrankungen sowie die moderierende Wirkung von eigenständigen arbeitsbezogenem Regulationschancen, sozialer Unterstützung und Belohnungen.

Die in den Modellen verwendeten Konstrukte von „Arbeitsstress“ wurden in zahlreichen prospektiven Studien auf ihre Vorhersagekraft für das Auftreten körperlicher und psychischer Erkrankungen in der Folgezeit getestet. Die zusammenfassenden Übersichtsarbeiten über die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass das Risiko der unter Stress bei der Arbeit leidenden Beschäftigten für die Entwicklung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung oder psychischen Störung, beispielsweise einer Depression oder Angststörung, in einem zehnjährigen Beobachtungszeitraum nach der überwiegenden Mehrzahl dieser Studien beim Eineinhalb bis Zweifachen des Wertes von Nichtbetroffenen liegt. Die Zusammenhänge waren für Männer – insbesondere im mittleren Erwachsenenalter – gegenüber Frauen stärker ausgeprägt 157 .


____________________________

147 Schlick, C., R. Bruder & H. Luczak (2010). Arbeitswissenschaft. Heidelberg.

148 Lohmann-Haislah, A. (2012). Stressreport Deutschland. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund, Berlin u. Dresden. S. 35-37.

149 Kang, M. Y.; H. Park; J. Seo, D. Kim, Y.H. Lim, S. Lim. S.H. Cho & Y.C. Hong (2012). Long Working Hours and Cardiovascular Disease: a Metaanalysis of Epidemiologic Studies. Journal of Occupational and Environmental Medicine. 54 (5). S. 532 – 537. Wirtz, A. (2010). Gesundheitliche und soziale Auswirkungen langer Arbeitszeiten. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund.

150 Initiative Gesundheit und Arbeit (2012). iga.Fakten 4. Restrukturierung: Gesunde und motivierte Mitarbeiter im betrieblichen Wandel. Berlin und Essen (www.iga-info.de -> Veröffentlichungen).

151 Lohmann-Haislah, A. (2012). Stressreport Deutschland. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund, Berlin, Dresden. S. 35-37.

152 Kroll, L., S. Müters & N. Dragano (2011). Arbeitsbelastungen und Gesundheit. Robert Koch-Institut Berlin (Hrsg.). GBE kompakt 2 S. 5. Lohmann-Haislah, A. (2012). Stressreport Deutschland. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund, Berlin, Dresden. S. 51.

153 DIN EN ISO 10075-1. Ergonomic principles related to mental work load.

154 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (20105). Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufsleben. Dortmund. S. 13.

155 Siegrist, J. & N. Dragano (2008). Psychosoziale Belastungen und Erkrankungsrisiken im Erwerbsleben. Befunde aus internationalen Studien zum Anforderungs-Kontroll-Modell und zum Modell beruflicher Gratifikationskrisen Bundesgesundheitsblatt. Jg. 51. S. 305–312, hier: S. 305. Die Stressoren versetzen den Organismus über eine Ausschüttung von Hormonen und die Aktivierung des autonomen Nervensystems in Alarmbereitschaft. Erfolgt kein Abbau über Muskelarbeit, wirkt die Stressreaktion als körperlicher und psychischer Spannungszustand fort. Chronischer Stress kann langfristig zu körperlichen und psychischen Krankheiten führen.

156 Vgl. zum Folgenden zusammenfassend mit weiteren Nachweisen: Schröer, A. & R. Sochert (2012). Gesundheitszirkel seit 25 Jahren erfolgreich. Die BKK Nr. 11. S. 464-471, hier: S. 466 f.

157 Bödeker, W. & I. Barthelmes (2011): Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Berufe mit hoher Krankheitslast in Deutschland. Synopse des wissenschaftlichen Kenntnisstandes und ergänzende Datenanalysen. iga.Report 22. Essen und Berlin. S. 39-41, 53.

 

Wirksamkeit:

Als wirksam haben sich ganzheitliche Prozesse erwiesen, die analysebasiert auf eine Optimierung der Arbeitsbedingungen und des individuellen Verhaltens (siehe auch Handlungsfeld „Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil“, Kapitel 6.7.2.) abzielen. Solche Programme beinhalten neben ergonomischen und arbeitsorganisatorischen Veränderungen, Maßnahmen zur Personalentwicklung, eine verbesserte Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln und verhaltensschulende Maßnahmen. Die aktive Beteiligung von Beschäftigten im Rahmen von Optimierungs- und Entscheidungsprozessen verbessert die Akzeptanz und die Wirksamkeit der Intervention 158. Deshalb sind Methoden, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbeziehen, wie z. B. Gesundheitszirkel, -werkstätten und Fokusgruppen, in allen Phasen des betrieblichen Gesundheitsförderungszyklus zu empfehlen.

Zielgruppe:

• alle Beschäftigten im Unternehmen

Ziel der Maßnahme:

• Gestaltung gesundheitsgerechter Arbeit und Arbeitsbedingungen
• Balance zwischen Anforderung und Ressourcen, ressourcenkonformer Einsatz der Beschäftigten
• beschäftigtenorientierte Gestaltung von Veränderungsprozessen (Erhalt der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiterinnen/ Mitarbeiter)

Inhalt:

• Betriebsspezifische Beratung zu gesundheitsrelevanten Fragestellungen der Arbeitsgestaltung
• Analyse des unternehmensspezifischen Arbeitsunfähigkeitsgeschehens und der Arbeitssituation unter ganzheitlichen Aspekten
• Analysebasierte Maßnahmenplanung und -umsetzung (zur Optimierung der Arbeitsbedingungen)
• Evaluation der Maßnahmen

Methodik:

• Initiierung und nachhaltige Implementierung von Strukturen und Prozessen der Gesundheitsförderung
• Entwicklung und Umsetzung ganzheitlicher unternehmensspezifischer BGF-Konzepte (siehe vorherige Ausführungen zu „Inhalt“)
• Einbindung der Beschäftigten durch vertiefende Analysen z. B. Beschäftigtenbefragungen, Moderation von Arbeitssituationsanalysen und Gesundheitszirkeln, Durchführung von Interviews usw.
• Bedarfsspezifische Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen zur Optimierung der Arbeitsbedingungen (ergonomisch, organisatorisch, im sozialen Miteinander)
• Verzahnung mit Maßnahmen zu einem gesundheitsförderlichen Arbeits- und Lebensstil (s. Handlungsfeld Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil, Kapitel 6.7.2)
• Bei Bedarf Schulung von Peer-Mentoren (Fürsprecher für Beschäftigte z. B. in multikulturellen Arbeitsteams, für sozial benachteiligte Beschäftigtengruppen) zur Stressbewältigung und Ressourcenstärkung

Anbieterqualifikation:

Für die Durchführung dieser Maßnahmen gelten die in Kapitel 6.7 beschriebenen Anforderungen an die Qualifikation von Anbieterinnen und Anbietern.

____________________________

158 Sockoll, I.; I. Kramer & W. Bödeker (2008). Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention. Iga.Report 13. Essen. S. 63-66 (http://www.iga-info.de -> Veröffentlichungen -> iga-Reporte).

 

Präventionsprinzip: Gesundheitsgerechte Führung
Bedarf:

Führungskräfte werden in der betrieblichen Gesundheitsförderung zunehmend als diejenigen Akteurinnen und Akteure identifiziert, die erheblichen Einfluss auf Gesundheit und Gesundheitsver- halten der Beschäftigten haben – im positiven wie im negativen Sinne. Dabei ist die Tätigkeit von Führungskräften selbst in der Regel mit hohen Anforderungen verbunden. Nach dem „Stressreport 2012“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sind die von Führungskräften am häufigsten genannten Anforderungen „Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit“, „starker Termin- und Leistungsdruck“ und die „gleichzeitige Betreuung verschiedenartiger Aufgaben“ stärker als bei nachgeordneten Beschäftigten verbreitet. Diese Anforderungen werden umso häufiger, je größer die Führungsspanne ist. Auch berichten Führungskräfte häufiger als nachgeordnete Beschäftigte über eine Verwischung der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatsphäre insbesondere durch Wochenendarbeit und lange Arbeitszeiten 159 .

Führungskräfte besitzen aber auch erheblichen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit, die Motivation und die Gesundheit der unterstellten Beschäftigten. Führungskräfte können als Vorbilder, als Gestaltende der Arbeitsbedingungen – hinsichtlich Arbeitsorganisation, Zeit- und Leistungsdruck, Entscheidungs- und Handlungsspielräume, Konflikt- und Problembewältigung, soziale Unterstützung – sowie durch wertschätzendes Verhalten Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten nehmen. Positive Führung arbeitet nach salutogenen Prinzipien (Transparenz, Vermittlung von Sinn u. a.), fördert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bietet soziale Unterstützung und Anerkennung, ist team-, mitarbeiter- und ressourcenorientiert. In Bezug auf eine Belegschaft, die im Schnitt immer älter wird und eine größere Varianz (Altersspanne) aufweist, wird zunehmend eine auf Diversität achtende, vorurteilsfreie Führung notwendig, um ein spannungsfreies Arbeiten in altersgemischten Teams zu begleiten 160 .

Führungskräfte sind nicht immer in ihrer Führungskompetenz ausgebildet bzw. mit dem Wissen über die Zusammenhänge des eigenen Verhaltens mit der Motivation und Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgestattet. Oftmals ist kränkendes oder unzureichendes Führungsverhalten Ausdruck von Überforderung, mangelndem Wissen über Zusammenhänge von Arbeit und Gesundheit oder fehlenden unterstützenden Rahmenbedingungen im Unternehmen 161 .

Bei ganzheitlichen BGF-Prozessen kommt Führungskräften somit aufgrund ihres Einflusses auf die Arbeitsbedingungen eine Schlüsselposition zu. Sie bedürfen zugleich einer besonderen Unterstützung, da sie aufgrund ihrer „Sandwich-Position“ 162 selbst besonders beansprucht sind. Ihre aktive Mitwirkung ist daher entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung von Gesundheitsprojekten in den Betrieben.

Wirksamkeit:

Eine schwedische Längsschnittstudie verdeutlicht die positiven gesundheitlichen Auswirkungen eines Führungsverhaltens, das gekennzeichnet ist durch Wertschätzung, Klarheit von Aufgaben und Rollenerwartungen, Information und Feedback, Begleitung bei der Bewältigung von Veränderungsprozessen und Förderung einer aktiven Beteiligung der Beschäftigten: Je höher diese Führungsmerkmale aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgeprägt waren, umso geringer war das Risiko für akute Herz-Kreislauf-Erkrankungen 163 . Auch der Stressreport 2012 belegt, dass das Führungsverhalten stark mit Arbeitszufriedenheit und Arbeitsfähigkeit der unterstellten Beschäftigten assoziiert ist. Wichtige gesundheitsförderliche Führungsmerkmale sind u. a. offene Kommunikation, soziale Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Gewährung von Mitbestimmungsmöglichkeiten und Handlungsspielräumen sowie Anerkennung und Wertschätzung 164 . Gesundheitsförderliches Führungsverhalten hat auch positive Auswirkungen auf die persönlichen gesundheitlichen Verhaltensweisen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 165 .

Zielgruppe:

• Alle Führungskräfte eines Unternehmen
• Führungskräfte mit erhöhter Stressbelastung
• Führungskräfte, bei deren unterstellten Beschäftigten eine erhöhte Arbeitsunzufriedenheit und/oder ein erhöhter Krankenstand besteht
• Mittelbar alle Beschäftigten

Ziel der Maßnahme:

Mit den Maßnahmen werden bedarfsbezogen gesundheitsförderliche Prozesse auf der Ebene des Betriebs, der Führungspraxis sowie des persönlichen Gesundheitsverhaltens der Führungskräfte angestrebt:

Systemisch: Führungskultur im Unternehmen

• Gestaltung von Rahmenbedingungen (z. B. Mitarbeiteranzahl im Verantwortungsbereich, Zeitressourcen für Führungsaufgaben, Weiterbildung) zur Ermöglichung eines gesundheitsgerechten Führungsverhaltens
• Befähigung zur gesundheitsgerechten Gestaltung von Arbeit (z. B. Vermeidung von Störungen und Unterbrechungen, Bearbeitung von kontraproduktiven Schnittstellen, Abbau von starkem Termin- und Zeitdruck und die Verminderung von gleichzeitiger Betreuung verschiedenartiger Aufgaben, Gewährung ausreichender Handlungsspielräume, Anpassung von Qualifikation an die Anforderungen der Tätigkeit, Organisation sozialer Unterstützung durch Kolleginnen/ Kollegen und Führungskräfte). Dies schließt die Berücksichtigung von Merkmalen der Vielfalt/Diversität, insbesondere Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund ein.
• Beteiligung von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern und Kommunikation im Team: Schaffung von Strukturen (z. B. regelmäßige Teambesprechungen), Festlegung von Informationsabläufen, Schaffung von Beteiligungsmöglichkeiten, Pausenregelungen, Angebot von Begegnungsräumen
• Schaffung von Routinen für den Umgang mit aus langer Krankheit oder Abwesenheit zurückkehrenden Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter und für die Unterstützung von suchtkranken, behinderten oder leistungsgeminderten/ -gewandelten Beschäftigten

Führungsverhalten:
Kompetenz „Gesundheit“ ausbauen

• Sensibilisierung der Führungskräfte für Zusammenhänge zwischen ihrem Verhalten und dem Wohlbefinden, den psychophysischen Belastungen, den Ressourcen und der Gesundheit der Mitarbeiter
• Entwicklung eines an den Beschäftigten orientierten und gesundheitsgerechten Kommunikations- und Führungsstils
• Reduzierung psychischer Fehlbelastungen aufseiten der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter sowie Aufbau von Ressourcen zur Erhöhung von Zufriedenheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz

Persönliches Gesundheitsverhalten und Vorbildfunktion

• Stärkung gesundheitsfördernder Ressourcen bei den Führungskräften • Gesundheitsgerechtes Bewegungs-, Ernährungs-, Stressbewältigungsverhalten, Vermeidung bzw. Reduzierung des Konsums von Suchtmitteln
• Ausgeglichene Lebensführung unter Berücksichtigung von Arbeit und Privatleben
• Entfaltung der Vorbildfunktion und Impulsgebung für Gesundheitsförderung bei den unterstellten Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern

Inhalt:

• Informationen über Zusammenhänge zwischen Führungsverhalten einerseits und psychischer Belastung, Ressourcen, Wohlbefinden und Gesundheit der Beschäftigen andererseits
• Reflexion führungsrelevanter Einstellungen und des eigenen Führungsverhaltens im Hinblick auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter
• Wirkung der Ressource „Wertschätzende Unternehmenskultur“ vertiefen und Einflussmöglichkeiten durch das Führungsverhalten entwickeln
• Entwicklung von Strategien zur gesundheitsförderlichen und alternsgerechten Arbeitsorganisation, einer an den Beschäftigen orien- tierten Kommunikation und Gesprächsführung auch zur Verbesserung des Umgangs mit belasteten Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern oder bei Konflikten am Arbeitsplatz
• Transfer dieser Strategien in den betrieblichen Alltag
• Erprobung instrumenteller, kognitiver und palliativ-regenerativer Strategien zum Umgang mit eigenen Belastungen, insbesondere in schwierigen Führungssituationen
• Beratung der unternehmensintern Verantwortlichen zur Stärkung der gesundheitsgerechten Führungskultur

Methodik:

• Systematische und strukturierte Programme, in der Regel in Gruppen
• Bezugnahme auf die jeweils konkreten betrieblichen Bedingungen
• Verknüpfung mit Aktivitäten in weiteren Handlungsfeldern und der Gestaltung der Arbeitsbedingungen
• „Führungswerkstatt“: moderierte Gruppengespräche zum Erfahrungsaustausch untereinander und zur Selbstreflexion der teilnehmenden Führungskräfte
• Praktische Einübung von Gesprächs- und Stressmanagementstrategien
• Anleitungen für einen Transfer dieser Strategien in den Führungsalltag

Anbieterqualifikation:

Zur Durchführung entsprechender Maßnahmen kommen Fachkräfte mit einem staatlich anerkannten Berufs- oder Studienabschluss im Bereich psychosoziale Gesundheit in Betracht, insbesondere:
• Psychologin/Psychologe (Abschlüsse: Diplom, Magister, Master, Bachelor),
• Pädagogin/Pädagoge (Abschlüsse: Diplom, Magister, Master, Bachelor, Staatsexamen),
• Sozialpädagogin/Sozialpädagoge, Sozialarbeiterin/Sozialarbeiter (Abschlüsse: Diplom, Magister, Master, Bachelor),
• Sozialwissenschaftler/in (Abschlüsse: Diplom, Magister, Master, Bachelor),
• Gesundheitswissenschaftler/in (Abschlüsse: Diplom, Magister, Master, Bachelor),
• Ärztin/Arzt, Betriebsärztin/Betriebsarzt mit Kenntnissen in Organisations- und Personalentwicklung und in Methoden der Verhaltensmodifikation sowie mit Erfahrungen in der Durchführung von Führungskräftetrainings.

____________________________

159 Lohmann-Haislah, A. (2012). Stressreport Deutschland. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund, Berlin, Dresden. S. 42, 59 und 125.

160 Vgl. Friedrichs, M. et al. (2011). iga-Barometer 3. Welle 2010: Einschätzungen der Erwerbsbevölkerung zum Stellenwert der Arbeit, zum Gesundheitsverhalten, zum subjektiven Gesundheitszustand und zu der Zusammenarbeit in altersgemischten Teams. iga.Report 21. Berlin und Essen. (http://www.iga-info.de -> Veröffentlichungen -> iga-Reporte).

161 Vgl. auch Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2014). Fachkonzept Führung und psychische Gesundheit. Berlin.

162 Deutsche Gesellschaft für Personalführung e. V. (2011): Psychische Beanspruchung von Mitarbeitern und Führungskräften, Düsseldorf.

163 Deutsche Gesellschaft für Personalführung e. V. (2011): Psychische Beanspruchung von Mitarbeitern und Führungskräften, Düsseldorf.

164 Badura, B., A. Ducki, H. Schröder, J. Klose & K. Macco (2011). Fehlzeiten-Report 2011: Führung und Gesundheit. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft. Berlin. Gregersen, S., S. Kuhnert, A. Zimber & A. Nienhaus (2011). Führungsverhalten und Gesundheit – Zum Stand der Forschung. Das Gesundheitswesen, Jg. 73, S. 3–12.

165 Franke, F. & Felfe J. (2011): Diagnose gesundheitsförderlicher Führung – Das Instrument „Health-oriented Leadership“. In: Badura, B., A. Ducki, H. Schröder, J. Klose & K. Macco (2011). Fehlzeiten-Report 2011: Führung und Gesundheit. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft. Berlin. S. 3–13.

 

Präventionsprinzip: Gesundheitsförderliche Gestaltung betrieblicher Rahmenbedingungen

Außer durch Maßnahmen zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung und Führung wird die Gesundheit der Beschäftigten auch durch betriebliche Rahmenbedingungen wie z. B. Bewegungsmöglichkeiten im Betrieb, Verpflegungsangebote im Arbeitsalltag sowie Regelungen zum Suchtmittelkonsum beeinflusst. Krankenkassen können Betriebe b ei der gesundheitsförderlichen Gestaltung der genannten Rahmenbedingungen sowie bedarfs bezogen zu weiteren Themen unterstützen.

a) Bewegungsförderliche Umgebung Bedarf:

Über 25 % aller Arbeitsunfähigkeitstage treten infolge von Muskel- und Skeletterkrankungen auf, der Schwerpunkt liegt bei den Dorsopathien. Rücken- und Nackenschmerzen sind ein sehr häufig auftretendes Phänomen, das fast die gesamte Bevölkerung betrifft. Risiken für diese Beschwerden resultieren sowohl aus physischen Einflüssen (z. B. langes Sitzen, Heben und Tragen von Lasten) als auch aus psychosozialen Faktoren (z. B. mangelnde soziale Unterstützung, niedriger Handlungsspielraum) 166 . Der in der modernen Arbeitswelt verbreitete Bewegungsmangel ist auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie für Diabetes Typ 2 ein wichtiger Risikofaktor (vgl. Abschnitt „Bewegungsgewohnheiten“ im Rahmen des individuellen Ansatzes, Kapitel 5.6.1).

Wirksamkeit:

Durch ergonomische, bewegungsfreundliche Arbeitsplatzgestaltung sowie regelmäßige körperliche Aktivität bei der Arbeit und in der Freizeit lassen sich Krankheitsrisiken insbesondere für das Muskel-Skelett-System nachhaltig reduzieren. Erfolgversprechend sind umfassende multifaktoriell angelegte Programme, die auf die Gestaltung der Arbeitsumgebung und eine Kombination ergonomischer Optimierungen, arbeitsorganisatorischer Veränderungen und die Nutzung von technischen Hilfsmitteln abheben sowie das individuelle Verhalten beeinflussen. Die Beteiligung der Beschäftigten an allen programmrelevanten Entscheidungsprozessen verbessert die Akzeptanz und die Wirksamkeit der Intervention. Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung ist Regelmäßigkeit und Verstetigung. Rein edukative Maßnahmen zur Information und Wissensvermittlung sind hingegen ineffektiv 167 .

Zielgruppe:

• Betriebliche Entscheidungsträger
• Mittelbar alle Beschäftigten

Ziel der Maßnahme:

• Bewegungsförderliche betriebliche Umgebung zur Förderung von Bewegung am Arbeitsplatz

Inhalt:

• Initiierung bewegungsförderlicher Gestaltung betrieblicher Räumlichkeiten, z. B. Bewegungsräume, gesicherte Fahrradstellplätze, Umkleiden
• Initiierung betrieblicher Gruppenaktivitäten (Betriebssportgruppen, Organisation gezielter Ausgleichsaktivitäten wie z. B. „Aktivpausen“, „Treppe statt Aufzug“, „Mit dem Rad zur Arbeit“)
• Aufbau von Kooperationen mit Anbieterinnen und Anbietern (gesundheits-)sportlicher Maßnahmen

Methodik:

• Analyse der Bewegungssituation
• Beratung/Schulung betrieblicher Entscheidungsträger
• Betriebliche Informations- und Motivationskampagnen

Die Schaffung gesundheitsgerechter betrieblicher Bedingungen sollte mit begleitenden präventiven Angeboten zur Verhaltensmodifikation und Unterstützung eines gesundheitsgerechten Lebensstils kombiniert werden (s. Handlungsfeld „Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil“, Kapitel 6.7.2).

Anbieterqualifikation:

Siehe Anforderungen an die Qualifikation von Anbieterinnen und Anbietern in Kapitel 6.7.

____________________________

166 Initiative Gesundheit und Arbeit (2010). iga.Fakten 2 – Starke Muskeln, gesunde Knochen – beweglich bleiben im Beruf, S. 8.

167 Sockoll I., I. Kramer & W. Bödeker (2008). Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention. Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz 2000-2006. Iga.Report 13. Essen, Dresden, Bonn, Siegburg. S. 53 und 55.

 

b) Gesundheitsgerechte Verpflegung im Arbeitsalltag Bedarf:

Die Ernährung hat eine zentrale Bedeutung sowohl für die Erhaltung der Gesundheit als auch für die Entstehung bestimmter Krankheiten. Nach den Ergebnissen der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (2008-2011) (vgl. Kapitel 5.6.2.) ist fast ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung – 23,9 % der Frauen, 23,3 % der Männer – fettleibig (adipös = BMI > 30), was mit einem stark erhöhten Risiko für Diabetes, Stoffwechselstörungen, Bluthochdruck etc. einhergeht. Insgesamt 67 % der Männer und 53 % der Frauen im Alter zwischen 18 und 80 Jahren sind übergewichtig, wobei mit dem Alter der Anteil der Übergewichtigen zunimmt 168 . Rund 36 % der Männer und 31 % der Frauen überschreiten den Richtwert der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die tägliche Energiezufuhr bei mittlerer körperlicher Aktivität 169 . Die gesundheitsfördernde Funktion der Verpflegung im Arbeitsalltag wird maßgeblich von der ernährungsphysiologischen Qualität des Speisenangebots bestimmt.

Wirksamkeit:

Eine bedarfsgerechte, ausgewogene Ernährung während des Arbeitstages trägt zum Wohlbefinden und der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten bei. Sie trägt dadurch auch zur Vermeidung/ Verringerung ernährungsmitbedingter Krankheiten wie z. B. Adipositas, Diabetes mellitus, Stoffwechselstörungen, Bluthochdruck etc. bei 170 .

Einflussfaktoren auf das Ernährungsverhalten während des Arbeitstages sowie auf die Inanspruchnahme eines betrieblichen Verpflegungsangebots sind:
• Sensorische Qualität der Speisen, Vielfältigkeit des Angebots, Möglichkeit zur individuellen Zusammenstellung von Menükomponenten
• Ernährungsphysiologische Qualität der angebotenen Speisen
• Preisgestaltung
• Aspekte der Nachhaltigkeit, z. B. regionale und saisonale Lebensmittel, Produkte aus ökologischer Landwirtschaft
• Präsentation und Ausgabe der Speisen, geschultes Ausgabepersonal sowie Begleitmedien
• Gestaltung des Betriebsrestaurants (Ambiente), Nähe zum Arbeitsplatz
• Pausenregelungen, flexible Verfügbarkeit des Verpflegungsangebots

Durch Optimierung der o. g. betrieblichen Einflussfaktoren kann das Ernährungsverhalten der Beschäftigten während des Arbeitstages und auch darüber hinaus positiv beeinflusst werden. Programme, die verhältnis- und verhaltenspräventive (vgl. Handlungsfeld „Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil“, Kapitel 6.7.2) Maßnahmen kombinieren, zeigen die größten Effekte. Solche Interventionen erwiesen sich in mehreren Untersuchungen noch erfolgreicher in Kombination mit Programmen zur Gewichtskontrolle. Den Ergebnissen eines Reviews zufolge schwankt der Prozentsatz der Effekte hinsichtlich der Umsetzung eines gesundheitsbewussten Ernährungs-verhaltens, die durch Ernährungsinterventionen erreicht und aufrechterhalten wurden, im Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr zwischen 30 und 65 % 171 .

Zielgruppe:

• Kantinenleitung und –mitarbeiterinnen/-mitarbeiter
• Führungskräfte
• Mittelbar alle Beschäftigten

In Abhängigkeit von den betrieblichen Rahmenbedingungen (z. B. Betriebsgröße, Art und Schwere der ausgeübten Tätigkeiten – körperlich anstrengend versus sitzend – in der Belegschaft vertretende Nationalitäten, Vorkommen von Schichtarbeit etc.) sind zielgruppenspezifische Angebote sinnvoll, z. B. für:
• Nachtarbeiter/innen
• Diabetiker/innen
• Muslimische Mitarbeiter/innen
• Vegetarier/innen

Ziel der Maßnahme:

• Ausrichtung des Verpflegungsangebots einschließlich Flüssigkeitsversorgung (Kantinen-, Pausen- und Meetingverpflegung, ggf. auch externe Angebote) an den D-A-CH-Referenzwerten 172 und dem DGE-Qualitätsstandard für die Betriebsverpflegung 173 sowie an Bedarf und Bedürfnissen der Beschäftigten

Inhalt:

• Ausrichtung der Betriebsverpflegungsangebote an den aktuellen Ernährungsempfehlungen und dem DGE-Qualitätsstandard für die Betriebsverpflegung
• Optimierung der Essensausgabeverfahren zur Erhöhung der Wahlmöglichkeiten und Verkürzung der Wartezeiten
• Abstimmung der Öffnungszeiten der Verpflegungseinrichtungen auf die Bedürfnisse und Arbeitszeiten der Beschäftigten (z. B. bei Schicht- und Wochenendarbeit)
• bedarfsgerechte, ansprechende Gestaltung des Betriebsrestaurants und der Sozialräume
• Ausschluss eines Alkoholangebots im Rahmen der Betriebsverpflegung
• Informationen über gesundheitsgerechte Verpflegungsmöglichkeiten bei Betrieben ohne Gemeinschaftsverpflegung

Methodik:

• Analyse der bestehenden Verpflegungssituation im Betrieb (inkl. Speiseplananalyse)
• Beteiligung der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter an der Erhebung der Verpflegungssituation z. B. durch Beschäftigtenbefragungen
• Verbesserung der bestehenden Verpflegungssituation z. B. durch Angebot gesundheitsförderlicher Lebensmittel („Healthy Choices“) oder Einführung einer nährstoffoptimierten Menülinie
• Beratungen (z. B. zur Schaffung eines angenehmen Ambientes in der Verpflegungseinrichtung)
• Informations- und Motivationskampagnen (interne Öffentlichkeitsarbeit, Screenings, Ernährungsberatung)
• Schulungen (z. B. des Küchenpersonals) zur Umsetzung der aktuellen Ernährungsempfehlungen und des DGE-Qualitätsstandards für die Betriebsverpflegung

Die Schaffung gesundheitsgerechter betrieblicher Bedingungen sollte mit begleitenden präventiven Angeboten zur Verhaltensmodifikation und Unterstützung eines gesundheitsgerechten Lebensstils kombiniert werden (s. Handlungsfeld „Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil“, Kapitel 6.7.2).

Anbieterqualifikation:

Siehe Anforderungen an die Qualifikation von Anbieterinnen und Anbietern in Kapitel 6.7.

____________________________

168 Mensink, G.B.M., Schienkiewitz, A., Haftenberger, M. & Lampert, T. (2013). Übergewicht und Adipositas in Deutschland – Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt (56) H. 5/6. S. 786-794.

169 Initiative Gesundheit und Arbeit (2012). iga.Fakten 3. Gesund leben – auch am Arbeitsplatz. Möglichkeiten der betrieblichen Prävention von lebensstilbezogenen Erkrankungen. Berlin und Essen. S. 5. (www.iga-info.de -> Veröffentlichungen).

170 Trapp, U., Bechthold, A., Neuhäuser-Berthold, M. (2004). Ernährungsmanagement. In: Meifert, M.T., Kesting, M. Gesundheitsmanagement im Unternehmen. Berlin, 217-233.

171 Initiative Gesundheit und Arbeit (2012). iga.Fakten 3. Gesund leben – auch am Arbeitsplatz. Möglichkeiten der betrieblichen Prävention von lebensstilbezogenen Erkrankungen. Berlin und Essen. S. 12. (www.iga-info.de-> Veröffentlichungen).

172 DGE, ÖGE, SGE, SVE (2013). D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Neustadt an der Weinstraße.

173 Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (2014). DGE-Qualitätsstandard für die Betriebsverpflegung. Bonn. (www.jobundfit.de).

 

c) Verhältnisbezogene Suchtprävention im Betrieb
Bedarf:

Suchtmittelkonsum beeinträchtigt im beruflichen Kontext die individuelle Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Arbeitssicherheit und -qualität (s. hierzu auch Kapitel 5.6.4 „Suchtmittelkonsum“). Dabei spielen unterschiedliche Rausch- und Suchtmittel eine Rolle, wobei der Konsum von Tabak, Alkohol und Medikamenten sowohl im Hinblick auf die quantitative Verbreitung als auch im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen von besonderer Bedeutung: Rauchen ist in Deutschland die häufigste vermeidbare Einzelursache für Invalidität und den frühzeitigen Tod. Jährlich sterben 100.000 bis 120.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Rauchen ist Hauptrisikofaktor für:
• zahlreiche Krebserkrankungen,
• Herzinfarkt und Schlaganfälle,
• chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Lungenemphysem.

Passivraucherinnen und -raucher erleiden – wenn auch in geringerem Ausmaß und seltener – die gleichen akuten und chronischen Gesundheitsschäden wie Raucher.

Epidemiologische Daten belegen ferner den Umfang von riskantem, missbräuchlichem und abhängigem Alkoholkonsum in Deutschland: Bei 7,3 Mio. Menschen in der Altersgruppe von 18 bis 64 Jahren besteht z. B. ein riskanter Alkoholkonsum, davon haben ca. 1,6 Mio. Menschen einen missbräuchlichen Konsum und bei 1,8 Mio. der Gesamtzahl liegt ein Abhängigkeitssyndrom vor 174 . Diese Werte sind im Wesentlichen auf den betrieblichen Bereich übertragbar.

Daneben steht eine Vielzahl von Erkrankungen im Zusammenhang mit einem schädlichen Alkoholkonsum (alkoholassoziierte Erkrankungen). Während die betriebliche Problematik eines starken Alkoholkonsums offensichtlich ist, werden die Wirkungen eines verhältnismäßig geringeren Alkoholkonsums auf z. B. Feinmotorik und Konzentrationsfähigkeit auch in der betrieblichen Öffentlichkeit oft unterschätzt. Betriebliche Maßnahmen müssen daher auf eine Kultur der Punktnüchternheit („Null Promille am Arbeitsplatz“) ausgerichtet sein.

Der Medikamentenmissbrauch hat in Deutschland in den letzten 15 Jahren erheblich zugenommen. Nach Schätzungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) gibt es ca. 1,5 Mio. Medikamentenabhängige in Deutschland, wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. In diesem Zusammenhang zeigt sich in den letzten Jahren auch ein wachsender Trend zu einer verstärkten Einnahme von leistungssteigernden Mitteln („Hirndoping“, „Neuroenhancement“) 175 zur vermeintlich besseren Bewältigung von Anforderungen des Arbeitsalltags. Darüber hinaus konsumieren in Deutschland hochgerechnet etwa 283.000 Erwachsene im Alter von 18-64 Jahren missbräuchlich die illegalen Drogen Cannabis, Kokain oder Amphetamine.

Wirksamkeit:

Maßnahmen auf der organisatorischen Ebene, wie z. B. Alkohol- und Rauchverbote, reduzieren den Suchtmittelkonsum während der Arbeitszeit erheblich. Beim Thema Alkohol, Medikamente und illegale Drogen ist ein zentrales Element die sogenannte „konstruktive Konfrontation“, also die Thematisierung des Problems durch einen Vorgesetzten, welche in erster Linie die Vermittlung von internen oder externen Hilfsangeboten zum Ziel hat.

Zielgruppe:

• Führungskräfte • Betriebs- und Personalräte
• Fachkraft für Arbeitssicherheit
• Betriebsärztin/Betriebsarzt, Werksärztin/Werksarzt
• Mittelbar alle Beschäftigten

Ziel der Maßnahme:

• Schaffung von Rahmenbedingungen für einen bewussten und sensiblen Umgang mit Suchtmitteln sowie Punktnüchternheit bei der Arbeit
• Reduktion des Tabakkonsums bzw. vollständiger Rauchverzicht bei rauchenden Beschäftigten
• Kein bzw. maßvoller Alkoholkonsum im Alltag und Punktnüchternheit bei der Arbeit

Inhalt:

Bestandteile von Programmen zur Suchtprävention sind 176 : • Erarbeitung von Führungsleitlinien zum Suchtmittelkonsum mit Regeln und Kommunikationsangeboten zum Umgang mit „Verstößen“
• Schulung von Führungskräften und anderen betrieblichen Entscheidern zum Umgang mit (suchtmittel-)auffälligen Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern
• Information und Beratung zu strukturellen Interventionen bezüglich des Suchtmittelkonsums (z. B. Dienstvereinbarungen, arbeitsorganisatorische Maßnahmen, betriebliche Rauchverbote, Abbau von Zigarettenautomaten, Einschränkungen des Zigarettenverkaufs im Betrieb etc.) einschließlich Beratung zur betriebsinternen Kommunikation und Mediation
• Ausrichtung eines attraktiven nicht alkoholischen Getränke-Angebots in der Betriebsverpflegung
• Förderung einer alkoholfreien Betriebskultur („Null Promille am Arbeitsplatz“), Stärkung der Vorbildrolle der Vorgesetzten und Kollegen
• Maßnahmen zur Organisations- und Personalentwicklung zur Verbesserung von Unternehmenskultur, Führungsstil, Betriebsklima und Arbeitszufriedenheit (z. B. Schulung in Gesprächsführung von Führungskräften und Personalvertretern, Klimagruppen, Zufriedenheitszirkel)

Methodik:

• Beratung der Betriebsverantwortlichen bei der Schaffung einer (über-)betrieblichen Struktur zur Suchtprävention und –hilfe
Die Schaffung gesundheitsgerechter betrieblicher Bedingungen sollte mit begleitenden präventiven Angeboten zur Verhaltensmodifikation und Unterstützung eines gesundheitsgerechten Lebensstils kombiniert werden (s. Handlungsfeld „Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil“, Kapitel 6.7.2).

Anbieterqualifikation:

Siehe Anforderungen an die Anbieterqualifikation in Kapitel 6.7.

____________________________

174 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (2014). Jahrbuch Sucht 2014. Lengerich. S. 9-20.

175 Kowalski, H. (2013). Neuroenhancement – Gehirndoping am Arbeitsplatz. In: Badura, B., A. Ducki et al. (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2013. Verdammt zum Erfolg – die süchtige Arbeitsgesellschaft. Heidelberg. S. 27-34, hier: S.32.

176 Anleitungen für betriebliche Suchtpräventionsprogramme: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.) (2006). Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe. Hamm; BARMER GEK & Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.) (2010). Alkohol am Arbeitsplatz. Eine Praxishilfe für Führungskräfte. Wuppertal und Hamm; Fachverband Sucht e. V. und Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (2013) (Hrsg.). Suchtprobleme in Klein- und Kleinstbetrieben – Ein praxisorientierter Leitfaden für Führungskräfte. Bonn und Karlsruhe. (www.sucht.de -> Veröffentlichungen).

 

6.7.2 Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil

Das generelle Ziel von verhaltensbezogenen Interventionen besteht darin, negative Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit aufgrund von chronischen beruflichen Belastungen sowie persönlichen Risiken bzw. Risikoverhaltensweisen zu vermeiden oder zu reduzieren. Diese Interventionen müssen in ein umfassendes Konzept zur betrieblichen Gesundheitsförderung nach der in Kapitel 6.3 beschriebenen Vorgehensweise eingebunden werden. Wirksame Maßnahmen richten sich sowohl auf die Gestaltung der objektiven Bedingungen bei der Arbeit („Verhältnisse“: insbesondere Arbeitszeit, -umgebung, -aufgaben, -organisation, Information und Partizipation sowie soziales Miteinander, siehe Handlungsfeld „Beratung zur gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung“, Kapitel 6.7.1.) als auch auf die Stärkung individueller Bewältigungskompetenzen durch verhaltensbezogene Interventionen. („Verhalten“). Als besonders effektiv haben sich Interventionsstrategien erwiesen, die verhältnis- und verhaltensbezogene Angebote kombinieren 177 .

Verhaltensbezogene Interventionen in der betrieblichen Gesundheitsförderung sind den Präventionsprinzipien:
• Stressbewältigung und Ressourcenstärkung,
• Bewegungsförderliches Arbeiten und körperlich aktive Beschäftigte,
• Gesundheitsgerechte Ernährung im Arbeitsalltag,
• Suchtprävention im Betrieb
zugeordnet. Leistungen gemäß diesen Präventionsprinzipien sind auf die Reduzierung der wichtigsten Risikofaktoren epidemiologisch besonders bedeutsamer Erkrankungen gerichtet (s .a. Kapitel 4.2. dieses Leitfadens). Sie werden grundsätzlich in Form von Kursen in Gruppen durchgeführt. Für die Durchführung dieser verhaltenspräventiven Maßnahmen gelten die Anforderungen an die Anbieterqualifikation in den Kapiteln 5.6.1-5.6.4 entsprechend.

Vorbereitend ist zur Sensibilisierung der Belegschaft für einen gesundheitsgerechten Arbeits- und Lebensstil die Durchführung von Gesundheitstagen/-aktionen, auch mit Erstellung individueller Gesundheitsprofile (z. B. Status von Muskelkraft, Beweglichkeit, Ernährungs-, Stoffwechsel- und Stressparameter) möglich.

Die seitens der Krankenkassen förderfähigen Leistungen können zur Stärkung von Kontinuität und Nachhaltigkeit mit Maßnahmen der Primärprävention und Gesundheitsförderung, die durch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber finanziert sind, kombiniert werden. Hierzu können Krankenkassen Betrieben Hinweise auch zur Nutzung der Bestimmungen nach § 3 Nr. 34 Einkommensteuergesetz (EStG, vgl. Kapitel 7.2 dieses Leitfadens) geben.

Präventionsprinzip: Stressbewältigung und Ressourcenstärkung

In Kombination mit verhältnisbezogenen Maßnahmen (s. Präventionsprinzipien „Gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeitstätigkeit und –bedingungen“ sowie „Gesundheitsgerechte Führung“, Kapitel 6.7.1) ist bedarfsbezogen insbesondere für Beschäftigte mit Stressbelastung, die lernen wollen, damit sicherer und gesundheitsbewusster umzugehen sowie für Beschäftigte mit spezifischen Belastungsprofilen (z. B. Beschäftigte im Schichtdienst, Auszubildende, Außendienstmitarbeiter etc.) ein begleitendes Angebot an verhaltenspräventiven Maßnahmen gemäß folgenden Kriterien sinnvoll:
• Vermittlung und praktische Einübung von Selbstmanagement-Kompetenzen in Bereichen wie systematisches Problemlösen, Zeitmanagement und persönliche Arbeitsorganisation
• Vermittlung von Methoden zur Ressourcenstärkung, insbesondere kognitive Umstrukturierung zur Einstellungsänderung, positive Selbstinstruktion und Stärkung der Achtsamkeit und Resilienz sowie deren praktische Einübung
• Vermittlung und praktische Einübung von Entspannungsverfahren wie Autogenes Training und Progressive Relaxation, Hatha Yoga, Tai Chi und Qigong
• Vermittlung von Selbstbehauptungs- und sozialkommunikativen Kompetenzen
• Anleitungen für Übungen außerhalb der Trainingssitzungen

Für die Durchführung dieser Maßnahmen gelten die Anforderungen an die Qualifikation von Anbieterinnen und Anbietern in Kapitel 5.6.3 entsprechend.

Präventionsprinzip: Bewegungsförderliches Arbeiten und körperlich aktive Beschäftigte

In Kombination mit verhältnisbezogenen Maßnahmen (s. Handlungsfeld „Beratung zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung“, Präventionsprinzip „Gesundheitsförderliche Gestaltung betrieblicher Rahmenbedingungen, a) Bewegungsförderliche Umgebung“) kommen arbeitsplatzbezogene verhaltensorientierte Gruppenverfahren zur Vermittlung von Wissen und zum Aufbau von Handlungskompetenzen zur Bindung an eigenständig durchgeführte körperliche Aktivität sowie zur Bewältigung von Belastungen und Beschwerden des Bewegungsapparats gemäß folgenden Kriterien in Betracht:
• Vermittlung von Wissen und Aufbau von Handlungskompetenzen zur Vorbeugung von bewegungsmangelbedingten Beschwerden und Erkrankungen
• Anleitung zur Bewältigung von Schmerzen und Beschwerden im Bereich des Muskel- und Skelett-Systems
• Beratung und soziale Unterstützung zur Aufnahme und Verstetigung eigenständiger körperlicher Aktivitäten mit dem Ziel, physische und psychosoziale Gesundheitsressourcen zu stärken
• Hinweis auf Sportangebote, z. B. im Rahmen des Betriebssports sowie primärpräventive Kursangebote nach Kapitel 5.6.1 dieses Leitfadens

Zielgruppen für diese Maßnahmen sind insbesondere Beschäftigte, die vorwiegend sitzend tätig sind, Beschäftigte mit einseitiger oder hoher Belastung, bewegungsarmen Tätigkeiten bzw. mit bereits vorhandenen Beschwerden des Bewegungsapparats sowie Beschäftigte aus betrieblichen Bereichen mit individuellen und/oder arbeitsplatzbedingten Chronifizierungsrisiken.

Für die Durchführung dieser Maßnahmen gelten die Anforderungen an die Qualifikation von Anbieterinnen und Anbietern in Kapitel 5.6.1 entsprechend.

Präventionsprinzip: Gesundheitsgerechte Ernährung im Arbeitsalltag

In Kombination mit verhältnisbezogenen Maßnahmen (s. Präventionsprinzip „Gesundheitsgerechte Verpflegung im Arbeitsalltag“) ist bedarfsbezogen ein begleitendes Angebot an verhaltensbezogenen Beratungen und Gruppenkursen (z. B. zur Gewichtsreduktion, Ernährung bestimmter Berufsgruppen) gemäß den folgenden Kriterien sinnvoll:
• Information und Motivation der Belegschaft zu einer gesundheitsförderlichen Ernährungsweise sowie zur Reduzierung ungesunder Ernährungsweisen (z. B. durch Aktionswochen, Informationskampagnen)
• Sensibilisierung der Belegschaft für einen gesundheitsgerechten Ernährungsstil im Rahmen von Gesundheitstagen/-aktionen, auch durch Erstellung individueller Gesundheitsprofile (z. B. Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Metabolisches Syndrom)
• Erhöhung der Akzeptanz und Inanspruchnahme bedarfsgerechter gesundheitsfördernder Verpflegungsangebote
• Stärkung der Motivation und Handlungskompetenz der Beschäftigten zu einer eigenverantwortlichen Umstellung auf eine individuell bedarfsgerechte Ernährung
• Verhaltenspräventive Maßnahmen z. B. zur Vermeidung/Reduzierung von Übergewicht sowie von Mangel- und Fehlernährung gemäß den Kriterien des individuellen Ansatzes (Kapitel 5.6.2)

Für die Durchführung dieser Maßnahmen gelten die Anforderungen an die Qualifikation von Anbieterinnen und Anbietern in Kapitel 5.6.2 entsprechend.

Präventionsprinzip: Verhaltensbezogene Suchtprävention im Betrieb

In Kombination mit den im Präventionsprinzip „Verhältnisbezogene Suchtprävention im Betrieb“ definierten verhältnisbezogenen Maßnahmen der Suchtprävention kommen verhaltenspräventive Maßnahmen der Suchtprävention gemäß den folgenden Kriterien in Betracht:
• Informationsangebote zu allen suchtrelevanten Themen für die Beschäftigten
• Sensibilisierung der Belegschaft zu Suchtgefahren und ihrer Verhütung
• Stärkung der Motivation zur bedarfsbezogenen Nutzung von Angeboten der Suchtprävention
• Beratung zu, Vermittlung und Durchführung von betrieblichen Angeboten zur Tabakentwöhnung, zum gesundheitsgerechten Alkoholkonsum sowie zu weiteren Suchtmitteln

Für die Durchführung dieser Maßnahmen gelten die Anforderungen an die Qualifikation von Anbieterinnen und Anbietern in Kapitel 5.6.2 entsprechend.

____________________________

177 Ducki, A. (2013): Betriebliche Interventionsansätze zur Bekämpfung psychischer Erkrankungen und zur Förderung psychischer Gesundheit. In: GKV-Spitzenverband und Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (Hrsg.). Präventionsbericht 2013. Berlin und Essen. S. 24 f.

 

6.7.3 Überbetriebliche Vernetzung und Beratung
Präventionsprinzip: Verbreitung und Implementierung von BGF durch überbetriebliche Netzwerke
Bedarf:

Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung werden überwiegend in großen oder mittleren Unternehmen angeboten, die selbst über die hierfür nötigen Ressourcen verfügen 178 .

Klein- und Kleinstbetriebe besitzen insofern einen besonderen Unterstützungsbedarf 179 . Neben der individuellen Beratung von Betrieben und deren Unterstützung bei der Analyse und Verbesserung der gesundheitlichen Situation im Betrieb gewinnt in diesem Zusammenhang die überbetriebliche Betreuung im Rahmen von Netzwerken und Gemeinschaftsberatungen zunehmend an Bedeutung.

Netzwerke sind zeitlich relativ stabile Gruppen, die sich aus Netzwerkpartnerinnen und –partner (z. B. Unternehmensvertreterinnen und -vertretern, regionalen Akteurinnen und Akteuren usw.) zusammensetzen und sich nach innen hin auf bestimmte Ziele und Aufgaben sowie Regeln der Zusammenarbeit verständigen. Netzwerke können in einer niedrigschwelligen Form v. a. solche Betriebe für betriebliche Gesundheitsförderung sensibilisieren, motivieren und unterstützen, die (noch) nicht über ausreichende interne Ressourcen für die Organisation von betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen verfügen. Im Rahmen von Netzwerken können Betriebe ihren eigenen Stand in der Gesundheitsförderung mit der Praxis in anderen Betrieben bzw. der eigenen Branche oder auch branchenübergreifend vergleichen und von den Erfahrungen anderer profitieren.

Außer durch überbetriebliche Netzwerke können Informationen zur betrieblichen Gesundheitsförderung auch in Kooperationen mit anderen Organisationen z. B. Industrie- und Handelskammern, Innungen, Wirtschaftsfachverbände, Branchenverbände und die Organisationen der Sozialpartner vermittelt werden. Gesetzliche Krankenkassen können gemeinsam mit diesen Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Betriebe durchführen. Hier bieten sich auch gemeinsame Aktivitäten der verschiedenen Sozialversicherungsträger an, um Betriebe „aus einer Hand“ über die trägerspezifischen Angebote zu Gesundheitsthemen zu informieren.

Ziel ist es, Betriebe zu erreichen und diese niedrigschwellig für betriebliche Gesundheitsförderung zu sensibilisieren und zu motivieren. Hieraus können dann weiterführende Maßnahmen, sowohl in Form von Netzwerkaktivitäten als auch betrieblichen Projekten (vgl. Handlungsfelder „Gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung“, Kapitel 6.7.1 und „Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil“, Kapitel 6.7.2) erwachsen.

Wirksamkeit:

Die Arbeit in Netzwerken stellt einen wirksamen ergänzenden Ansatz zur Sensibilisierung von Unternehmen für alle Themen der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie für die Verbreitung guter Praxis dar. Mit diesem niedrigschwelligen Ansatz können bislang noch nicht erreichte Gruppen von Unternehmen wirksam angesprochen werden. Netzwerke stärken und fördern die Bereitschaft von betrieblichen Entscheidern, in entsprechende Maßnahmen zu investieren, insbesondere dann, wenn erkannt wird, dass andere Unternehmen sich erfolgreich in diesem Feld engagieren. Unterstützend wirkt zudem, wenn der Nutzen eines solchen Engagements für wettbewerblich relevante Ziele der Unternehmenspolitik sichtbar wird.

Der informelle Austausch und der Zugang zu informellem Erfahrungswissen initiieren Lernprozesse in Organisationen und fördern die Eigenverantwortung der betrieblichen Entscheider. Organisationen, wie z. B. Industrie- und Handelskammern, Innungen, Wirtschaftsfachverbände und die Sozialpartner können ihre Mitglieder aufgrund ihres jeweiligen Auftrages auch in Fragen der betrieblichen Gesundheitsförderung erreichen. Netzwerkansätze tragen zu einer Steigerung des Wirkungsgrades betrieblicher Gesundheitsförderung in der Erreichung von Betrieben bei.

Zielgruppe:

• Betriebliche Akteurinnen/Akteure mit Entscheidungs- und/oder interner Multiplikationsfunktion
• Vertretungen der Bereiche Personalwirtschaft und Unternehmensleitung/Betriebs- und Personalräte/innerbetrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutz u. a.
• Akteurinnen/Akteure auf überbetrieblicher Ebene mit Entscheidungs- und/oder interner und externer Multiplikationsfunktion
• Vertreterinnen/Vertreter u. a. aus den Institutionen der Sozialversicherungen sowie andere Akteurinnen/Akteure aus Bereichen der sozialen Sicherheit/staatlichen Einrichtungen
• Vertretungen, die im Auftrag von Gruppen von Unternehmen handeln können (wie z. B. Wirtschaftsfachverbände, Industrie- und Handelskammern, Innungen, Branchenverbände u. a.)
• Akteurinnen/Akteure, die größere Gruppen von Unternehmen erreichen können (wie z. B. Banken und Versicherungen/Wirtschaftsförderungsagenturen u. a.)
• Mittelbar v. a. kleine und mittelständische Betriebe sowie Betriebe in bislang wenig erreichten Branchen/Bereichen der Arbeitswelt

Ziel der Maßnahme:

• Schaffung von niedrigschwelligen Zugängen zu informellem BGF-Erfahrungswissen
• Erreichung, Sensibilisierung und Motivierung von kleinen und mittleren Unternehmen für Themen der betrieblichen Gesundheitsförderung
• Stärkung der Bereitschaft von Entscheidern und Multiplikatorinnen/Multiplikatoren auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene, in die Verbreitung guter Praxis zu investieren
• Erreichung von Unternehmen und überbetrieblichen Akteurinnen/Akteuren, die mit anderen Mitteln nicht aktiviert werden können
• Höhere Verbreitung guter Praxis betrieblicher Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt
• Stärkung des unternehmenspolitischen Stellen wertes der betrieblichen Gesundheitsförderung
• Transparenz über die Angebote der verschiedenen Sozialversicherungsträger (Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung) zu Themen der Mitarbeitergesundheit
• Förderung der übergreifenden Zusammenarbeit von Trägern

Inhalt:

• Initiierung, Organisation und Begleitung von Netzwerken, deren Mitglieder Betriebe sind
• Initiierung, Organisation und Begleitung von Netzwerken, deren Mitglieder überwiegend überbetriebliche Akteure sind (insbesondere für die Zielgruppe der KMU relevant)
• Entwicklung und Förderung der Infrastruktur für Netzwerke auf lokaler, regionaler Landes- und Bundesebene
• Gewinnung von Netzwerkmitgliedern und –partnerinnen/-partnern, insbesondere mit Multiplikationsfunktion
• Begleitende Öffentlichkeitsarbeit
• Identifizierung von handlungsleitenden Prioritäten für den Austausch und Organisation des Austausches
• Entwicklung von geeigneten Angeboten für die Sensibilisierung/Informationsverbreitung, die in gemeinsamer Kooperation durchgeführt werden

Methodik:

• Analyse und Identifizierung von potenziell geeigneten und erreichbaren Organisationen für eine Partnerschaft auf überbetrieblicher Ebene, die bestimmte Gruppen von Unternehmen ansprechen können
• Konzeptentwicklung einschließlich der Definition der Zielgruppe und der Ausrichtung des Netzwerkes
• Gemeinsame Entwicklung von niedrigschwelligen Angeboten für die Sensibilisierung
• Entwicklung von Methoden, die Lernprozesse in Gruppen unterstützen
• Verschiedene Methoden der internen und externen Kommunikation
• Vermittlung von Inhalten rund um das Thema BGF und dessen Umsetzung in der Praxis
• Durchführung von Informationsveranstaltungen

Anbieterqualifikation:

Siehe Anforderungen an die Qualifikation von Anbieterinnen und Anbietern in Kapitel 6.7.

____________________________

178 Sczesny, C., S. Keindorf, P.J. Droß & G. Jasper (2014). Kenntnisstand von Unternehmen und Beschäftigten auf dem Gebiet des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in KMU. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund, Berlin, Dresden. S. 31. Während nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 10 % der Kleinstbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung anbieten, trifft dies auf über 73 % der Betriebe ab 100 Beschäftigten zu.

179 Arbeitsweltbezogenes Gesundheitsförderungsziel der GKV – Teilziel 1 – für die Jahre 2013–2018: Zahl und Anteil der mit Aktivitäten der betrieblichen Gesundheitsförderung erreichten Betriebe mit bis zu 99 Beschäftigten sind erhöht.